Feuerwehr - Wissen

Reisebericht des Feuerwehrkameraden Sven Homscheid

 Sven Homscheid war im Jahr 2005 an der Planung des Munda-Staudamm-Projektes beteiligt. Mehrere Monate verbrachte er in der 6 Mio. Stadt Lahore/Pakistan.

In seiner Freizeit schrieb er einige Newsletter, die er per e-mail an Freunde und Bekannte versendete. Diese „Kurzberichte“ füllen nun 54 DIN A4 Seiten hochinteressanter Reisebeschreibungen.

 Es lohnt sich diese absolut kurzweilige und humorvoll geschriebene Dokumentation zu lesen.

 Viel Spaß beim lesen der spannenden Lektüre.

 Danke an Sven für die Zustimmung der Veröffentlichung.

 



Newsletter i


Hallo liebe Leser des neuen Lahore Newsletters.


Dies ist eine Neuerscheinung einer Umschrift aus dem fernen Pakistan. Wobei es eher neu als eine Erscheinung ist. Erschienen ist mir hier noch nix. Noch nicht …


Zunächst vorweg an alle: mir geht es bestens und ich bin gut angekommen. Die Leute hier sind alle sehr nett und zuvorkommend und es stellt sich direkt, wie erwartet, das Gefühl des Neuen ein. Ist eigentlich auch gar kein Wunder, denn als ich in Abu Dhabi zwischengelandet bin strömte ich mit der aus dem Flieger aussteigenden Menge in eine völlig neue Welt, einen völlig neuen Kulturkreis. Was mir zuerst auffiel waren die vielen Menschen in ihren traditionellen Gewändern. Sie sehen ein bisschen so aus wie eine Mischung aus Schlafanzügen aus dem Mittelalter und zu lang geratenen Sommersackos. Zumindest die Kleidung der Männer. Die Kleidung der Frauen kann man ohne Weiteres auch mit Sack bezeichnen. Wenn man will sogar also Sack-oooh!! Denn erstaunlicherweise gibt es hier im Orient auch unverkleidete Frauen, und das finde ich nun wirklich „oooh“, denn damit hatte ich nicht gerechnet. Zugegeben, man sieht hier i Allgemeinen sehr wenige – nein sehr sehr wenige – Frauen auf der Straße. Aber wenn welche dabei sind, dann oft auch unverschleiert. Mein Kollege sagte mir heute morgen, dass sie sich nicht verschleiern müssen, dass es aber verpönt ist, ohne rumzulaufen.

Aber erstmal zurück nach Abu Dhabi. Dort hatte ich fünf Stunden lang Zeit, mir Flughafen und Leute anzusehen. Der Flughafen selber ist auch sehr sehenswert. Nicht sehr klein aber sehr hübsch. Die kleine zentrale Hale scheint aus der Mitte wie eine Fontäne zu entspringen. Der außen herunerfließende Wasserstrahl sind die Außenwände, was zur Folge hat, dass es dort keine geraden Wände gibt. Auch rechte Winkel gibt es keine. Feng Shui? Es sieht in jedem Fall sehr beeindruckend aus und ich habe direkt zwei Bilder mit meiner kleinen Pocket-Kamera geschossen. Es ist dann auch bei den zwei Bildern geblieben, da ich der einzige Idi war, der dort geknipst hat und dadurch die Aufmerksamkeit so ziemlich aller Leute in der Halle auf mich gezogen habe.

Beim zweiten Hinsehen fiel mir dann auf, was eigentlich so anders ist an diesem Flughafen. In Frankfurt war alles eher geräumig, weitläufig und ruhig. Hier war es das genaue Gegenteil: klein, eng, chaotisch und unheimlich laut. Es wurde sehr viel durcheinander gequatscht und gehandelt – halt Orient. Überall lagen Gepäckstücke auf, über, unter und neben den Sitzen und dazwischen vereinzelt Leute, die lasen, schauten, zumeist aber redeten. Und wie Rosinen in einem Kuchen sprangen überall Kinder rum. Im Allgemeinen mag ich ja nun keine Rosinen im Kuchen, aber was sehr faszinierend war ist, dass diese Kinder etwas ganz besonderes hatten: sie waren nicht nervig. Weder quengelig noch sonderlich störend. Nach kurzem Hinsehen fiel mir auf, wieso: Kinder werden hier als völlig normal und allvorhanden aufgefasst. Sie sind ganz anders integriert und wirken sehr ausgeglichen, im Vergleich zu den deutschen computerverzogenen Superplagen. Hier sind die Kinder viel mehr in die Gesellschaft integriert, was den Kindern sehr zu bekommen scheint.

In Lahore selber habe ich noch nicht allzu viele Kinder gesehen, abgesehen von Schulkindern, die zu etwa fünfzehnt in einem kleinen japanischen Minibus in die Schule gefahren werden. Erkennbar sind Schulbusse hier an den Schultaschen, die am Heck der Busse an Haken, wohlgemerkt außen, befestigt sind. Geschickt ist das allemal, denn im Inneren wäre auch kein Platz mehr für die Taschen.

Der Autoverkehr auf der Straße ist übrigens ein weites erwähnenswertes Phänomen. Autoverkehr ist eigentlich nicht richtig ausgedrückt, denn es gibt hier auf der Straße mehr Mofas, Mopeds und Mofa-Dreiräder mit Dach als Autos. Zusammen mit den sehr indisch wirkenden, fast auseinanderfallenden Bussen ergibt dies alles eine wirre, bunte und laute Mischung, die man Straßenverkehr nennen kann. Ich bin sehr beeindruckt von der Fahrweise der Pakistani. Abgesehen davon, dass sie alle auf der linken Seite fahren (Linksverkehr) fahren sie alle mit sehr viel Gefühl. Also ich meine mit sehr sehr viel Gefühl. Was ich sagen will: eigentlich fahren sie nur nach Gefühl! Und mit viel Gehupe! Oft wird gehupt anstatt geblinkt. Ampeln werden beachtet, ok. Jedenfalls zumeist. Ok, manchmal. Meist kommt man eh nicht umhin, anzuhalten, denn an fast jeder Ampel steht mindestens ein Polizist, der zusätzlich zur Ampel den Verkehr regelt. Oft stehen aber gleich zwei oder drei Polizisten an einer Kreuzung. Auch ein Phänomen aus Pakistan: Egal wo man hinkommt, überall sind für jeden Job mindestens zwei Leute da: Beim Einkaufen ist einer da, der das gewünschte aus dem Regal holt, einer, der es zur Kasse trägt, einer, der kassiert und einer, der verpackt. In unserem Projektbüro ist es übrigens nicht anders. Ich habe noch keinen Überblick, wie viele Leute wir überhaupt beschäftigen, aber es sind immer mindestens fünf Leute da, die nichts zu tun haben. Und da sind die drei Fahrer noch nicht eingerechnet! Diese Leute, Office Staff, sind eigens dazu da, Kopien anzufertigen, Glühbirnen zu wechseln und alle 2 Stunden ohne anzuklopfen ins Büro zu platzen und zu fragen „Ti?“. Es hat eine Weile gedauert, bis ich begriffen hatte, dass er mir Tee anbietet, ein Service des Hauses sozusagen. Aber alle sehr freundlich, zuvorkommend, aber nicht hektisch… Als ich gestern eine DIN A 3-Kopie brauchte und zum Kopierer gegangen bin, kam direkt einer vom Office Staff an und nahm mir die Arbeit ab. So stand ich also neben dem Kopierer und beobachtete, wie meine beiden Blätter erst kopiert und dann, und das gehört auch zum Service, gefaltet wurden. Allerdings so schief, dass ich das nächste Mal direkt auf den „Verfaltservice“ verzichtet habe. Aber eines muss man den “Locals“ aus dem Büro lassen: pünktlich sind sie. Um 16:30 wird der Kopierer angedeckt und um 17:00 ist das Büro fast wie ausgestorben. Dann sind nur noch wir Europäer da, meist bis 18 oder 19 Uhr. Ok, unsere beiden Fahrer sind auch noch da. Ja, wir haben zwei eigene Fahrer, die uns der Auftraggeber spendiert, zusammen mit den Autos. Ich bin fest davon überzeugt, dass es für alle Beteiligten besser ist, wenn wir nicht selber fahren. Man muss sich erst in das Leben auf der Straße eingewöhnen. Aber erstaunlicherweise fahren sehr wenig Autos mit Beulen auf den Straßen herum. Es scheint also zu funktionieren, wenn man sich auf sein Charma verlässt. Wer kein Charma hat lässt sich halt fahren.

Unser Guest House ist eigentlich gar kein richtiges Haus. Es ist eine kleine Villa mit sechs Schlafzimmern, zwei Wohnzimmern, einer üppigen und einer kleineren Küche und je einem kleinen Bad mit Dusche pro Schlafzimmer. Was die Bediensteten noch für Räumlichkeiten haben kann ich noch nicht sagen, da war ich noch nicht. Jawohl, unsere Bediensteten: Ein Koch, ein Hilfskoch und eine Haushälterin, die ich allerdings noch nicht gesehen habe. Sie kommt morgens, wenn wir im Büro sind. Die Wäsche wird aber sehr zügig gewaschen. Ich habe sie vorgestern z.B. auf meinem Koffer im Zimmer liegen gelassen und abends war sie schon wieder sauber in meinem Schrank. Gut, dort musste ich sie erstmal wieder herausholen, weil sie noch nicht ganz trocken war, aber im Wesentlichen klappt das schon ganz gut.

Zurzeit schlafe ich in einem von Lösungsmitteln geschwängerten Raum, denn zunächst stank mein neuer stählerner Stahlschrank nach Farbe. Mr. Walker sagte zwar, er habe ihn neu gekauft, aber irgendwie sah unser Koch, der auch gleichzeitig Hausmeister ist, Bedarf, ihn erstmal neu zu streichen. Meine Klamotten werden wohl in spätestens zwei Wochen alle einmal gewaschen sein und nicht mehr gar so stinken. Heute hat der hausmeisternde Koch dann meine Zimmertür gestrichen. Die ist seit wenigen agen neu im Rahmen und für eine Glastür in den Rahmen gekommen (was ich im Allgemeinen sehr nett finde).

Pool gibt es keinen. Jedenfalls soweit ich weiß.

Die Kollegen sind alle sehr nett und freundlich und alle zumindest 20 Jahre älter als ich. Ich kann also viel von ihnen lernen und höre gerne ihre Geschichten aus anderen Ländern wie Äthiopien, Sri Lanka, Tatschikistan, Iran, Dubai, …Estonishing enough: Alle sprechen deutsch, sogar der Project Leader Robert Walker, der gebürtiger Schotte ist. Zugegeben, manchmal fallen wir der Einfachheit halber ins Englische, weil einige Dinge besser auf Englisch erklärt werden können. Vor allem, wenn die Kollegen, die ständig im Ausland arbeiten, nicht mehr die deutschen Fachbegriffe kennen…


Am Wochenende ist ein sehr hoher schiitischer Feiertag in Lahore. Dann rennen die Gläubigen durch die Straßen und geißeln sich selbst mit Peitschen und anderen Geräten. Man hat uns dringend nahegelegt, dass wir zuhause bleiben sollen, da man nicht weiß, wie die Gläubigen in Trance reagieren, wenn ungläubige ihren Weg kreuzen. Klingt ein Wenig nach Chaostagen in Hannover. Mal sehen, was wir so am Wochenende machen werden. Immerhin werden wir deswegen am Samstag nicht ins Büro fahren bzw. gefahren werden. Das ist sonst üblich hier. Liegt mir aber auch nicht fern, denn so kommt wenigstens ordentlich „Progress“. Sonntag ist im Allgemeinen aber frei. Immerhin. Da werde ich voraussichtlich auch nichts dran ändern.


So ihr Lieben. Jetzt werde ich mich mal in die Falle begeben, denn immerhin ist morgen noch ein „normaler“ Bürotag. Übrigens sind wir hier in Pakistan euch zeitmäßig um drei Stunden voraus.


Viele Grüße aus dem immer wärmer werdenden Lahore

Euer

Sven / Jon

 

Newsletter ii, February 27.

 Hallo liebe Newsletter-Leser!

 Heute ist Sonntag. Heute arbeitet man nicht. Heute arbeiten wir zumindest nicht. Auf den Häusle-Baustellen links und gegenüber unseres Guest-Houses wurde heute aber wahrscheinlich mehr als in der Woche gearbeitet. Da war heute Morgen schon um 8:00 eine Flex im Einsatz – auch ein netter Wecker! Naja, aber immerhin konnte ich so den schönen Tag heute nicht verpennen.

 Letzten Sonntag war ja das Ashura-„Fest“ hier in Pakistan (und anderswo in muslimischen Staaten wohl auch). Fest ist wohl nicht direkt der richtige Begriff. Immerhin fügen sich einige extreme Moslems bei der Aktion selber ernsthafte Wunden zu. Aber da wir nicht aus dem Haus durften haben wir auch keine Geißelungen gesehen. Erst in der Sonntagsausgabe der Zeitung haben wir Bilder gesehen, wie Leute mit blutüberströmtem Rücken dargestellt wurden. Viel Verständnis habe ich für diese Art der Läuterung allerdings nicht…

 Montag war also wieder ganz normaler Arbeitstag und wir haben wieder wie üblich bis 18 oder 19 Uhr gearbeitet. Kulturell gibt es da also nix interessantes zu berichten. Allerdings habe ich in dieser Woche sehr viele ingenieurtechnisch interessante Dinge gemacht und viel gelernt. Ich habe z.B. die Hydraulik für den Triebwasserweg unserer Anlage berechnet oder mathematische Formeln angewendet, von denen ich seit dem Studium gedacht habe, sie nie wieder zu brauchen. Das waren natürlich alles wertvolle Erfolgserlebnisse für mich selber, aber mit an Sicherheit grenzender Wahrscheinlichkeit zu langweilig, um sie hier zu erzählen.

 Viel interessanter sind da sicherlich meine Erlebnisse nach der Arbeit. Mittwoch war ich mit einem Kollegen kurz auf einem Markt, Liberty Market in Lahore. Ganz praktisch ist hier, dass die Geschäfte bis 23:00, viele sogar bis 1:00 nachts geöffnet haben. Das gibt einem die Möglichkeit, dass man nach der Arbeit noch richtig shoppen kann. An dem Tag waren wir aber nur sehr kurz da. Ein anderer Kollege wollte sich noch Schuhe kaufen und wir hatten Zeit, uns auf dem Platz umzusehen. Liberty Market kann man sich als halbkreisförmigen Platz vorstellen. Im Innenraum des Platzes ist eine Art Grünanlage, wobei der Begriff Braunanlage da eher passen würde. Jedenfalls sind ein paar Bäume in der Mitte und dort wird in der Regel nichts verkauft. Am äußeren Rand des Halbkreises befindet sich nun ein Geschäft neben dem anderen, dicht an dicht (und das meine ich auch so!). In Lahore ist es so, dass solcher Art Marktplätze immer nach „Themen“ oder Produktsparten sortiert sind. Liberty Market ist beispielsweise ein Marktplatz, der auf Schuhe und Stoffe, also Ballenware, spezialisiert ist. Zwar haben sich auch einzelne Geschäfte dazwischen geschummelt, die etwas anderes verkaufen, aber im Wesentlichen gibt es dort Schuhe und Stoffe. Christian und ich schlenderten also so über den Markt und vertraten uns die Beine. Es war nicht sehr voll zu der Uhrzeit, aber immer noch gut besucht. Und irgendwann bemerkten wir, eher per Zufall, einen Durchgang zwischen zwei Geschäften. Neugierig wie wir sind, sind wir natürlich da rein und plötzlich ging mir ein Licht auf: Die halbkreisförmig angeordneten Geschäfte sind nur der Außenbereich des Liberty Market. Wir waren nun in seinem Inneren. Und hier ging es richtig bunt zur Sache. Da war ein Stoffballengeschäft nach dem anderen. Man wusste gar nicht, wo man zuerst hinsehen sollte, es war eine reine Farbenpracht. Stoffe aller Qualitäten, mit Mustern oder ohne, in Pastell- und volltönigen Farben,… alles. Und hier waren jetzt auch viel mehr Menschen, die sich durch die ohnehin schon viel zu engen Gänge quetschten. Das war also der erste orientalische Bazar, den ich besuchte. Etwas moderner, zugegeben, als ich ihn mir vorgestellt hatte. Ich hatte da eher ein rustikales Bild eines Bazars im Kopf, aber das war wohl antiquiert. Wir gingen also so durch die Gänge und schauten uns so um. Hier drinnen gab es auch einige Schmuckhändler. Und wenn man mal so ein Bisschen hinter die Kulisse geschaut hat, also auf das, was zwischen den einzelnen Ständen zu sehen war, dann kam direkt die nächste Überraschung: Jeder Stand war im Prinzip ein einzelnes Haus. So besteht Liberty Market eigentlich aus vielen Häusern, die zusammengebaut wurden. Wir kamen dann auch an einer Ecke vorbei, in der einige Stromzähler angebracht waren. Leider hatte ich keinen Fotoapparat dabei. Das wäre nun wirklich ein Foto wert gewesen. Da hingen etwa 50 Stromzähler an einer Wand und ungefähr 10-mal so viele lose Kabel gingen davon ab. Teilweise waren die Kabel, wohlgemerkt Hauptversorgungskabel der Läden, nur mit Isolierband zusammen getüddelt, auf jeden Fall war aber alles sehr dreckig. Jetzt könnte man ja sagen: Na siehste, in Deutschland wird viel zu viel Bohei darum gemacht! DIN-Normen und so nen Firlefanz. Es geht doch auch ohne!“ Ja, das könnte man sagen, aber es wäre falsch. Denn nachdem es Ende der Letzten Woche in einem Hotel am Liberty Market, im Hotel Liberty, gebrannt hat, hat es am Donnerstag dann in einer anderen Shopping Mall gebrannt. Beide Male waren Kurzschlüsse die Ursache. Also: Brav Deutschland, böse Pakistan!

 Also Christian und ich sind dann schon bald wieder aus dem Gewühl raus, weil wir zum Essen zurück ins Guesthouse mussten.

 Dann folgten ein paar Tage Arbeit, die ich mal einfach weglassen will, weil sie, wie erwähnt, für die meisten zu langweilig sind. Seit Donnerstag haben wir aber im Büro Broadband Internet. Das ist etwas Ähnliches wie das langsame DSL in Deutschland. Jetzt macht Arbeiten gleich doppelt Spaß, weil die eine Stunde, die man bisher morgens zum e-Mails checken brauchte, wegfällt. Fast wie daheim. Auf jeden Fall fühle ich mich jetzt ein gutes Stück mehr zuhause. Übrigens bin ich jetzt so was wie ein Netzwerkadministrator, nachdem sich unser bisheriger als völlige Pfeife herausgestellt hat!

 Samstag: Mein nächstes Erlebnis mit einer Shopping Mall. Mr. Walker und ich waren in einer Mall, die auf Computer spezialisiert ist. Wir waren allerdings etwas spät dran, weil wir noch lange im Büro waren, so dass viele Geschäfte schon zu hatten. Wie bereits gelernt muss man also erst den Zugang ins Innere der Mall finden, bis man ans Ziel kommt. Außen drängten sich dicht an dicht ein Handy-Shop an den nächsten. Es scheint so, als ob der Handy Markt in Lahore schier unendlich ist. Und nicht, dass die Shops vielleicht andere Produktpaletten im Angebot hätten, nein. Alle führen dasselbe, nur zu unterschiedlichen Preisen. Zu sogar sehr unterschiedlichen Preisen. Verrücktes System, sage ich euch. Aber im Inneren, wo es auf fünf Stockwerken Handys, Computer und Handys gibt, haben wir dann nach verschiedenen Dingen geschaut. Ich suche nach einem kleinen USB-Stick, der auch gleichzeitig MP3-Player ist. Auch das gibt es. Preise für ein und dasselbe Modell: “6.000 Rupees – for you only 5.000, Mista!” bis “4.000 Rupees normally, but for you special price 3.800 Rupees, Mista!”. Ganz erstaunlich, vor allem auch, weil die Dinger bei uns erheblich teurer sind. Ich habe mir aber erst mal keinen gekauft, weil ich den Markt erst noch etwas sondieren will. Ich habe da so eine Ahnung, dass sich das lohnen könnte …

 Heute ist Sonntag. Sonntag ist bei uns frei. Also bei uns in Lahore meine ich. In Deutschland ja sowieso. Heute stand Sightseeing auf dem Programm. Doch das war erst für Nachmittag geplant. Nachdem ich ja heute Morgen so sanft vom Kreischen einer Schleifex geweckt wurde hatte ich also den halben Tag noch zur Verfügung. Nach dem Duschen und ein paar Excel-Tabellen fürs Gewissen wollte ich also meine Nah-Umgebung mal etwas genauer inspizieren. Ich machte mich also auf Schusters Rappen auf den Weg, die große Straße, die vor unserem Villa Complex langgeht, in die Richtung zu begehen, die ich noch nicht kannte. Nach einer Weile kam ich an eine große Kreuzung, an der ich zum ersten Mal sehr verwundert wurde. Es gab nämlich Geschäfte, etwa von der Art Tante Emma, die heute, am heiligen Sonntag, geöffnet hatten. Erstaunlich, denn ich dachte, dass sie höchstens abends aufmachen würden…

 Ein Stück weiter standen plötzlich viele Autos eng geparkt am Straßenrand, danach viele Mopeds und noch ein Stück weiter sogar Fahrräder. Und noch ein Stück weiter waren ein Haufen Frauen mit Schleiern und Kindern am Straßenrand geparkt! Kaum zu fassen, aber ich war nun vollends neugierig, was denn da wohl kommen mochte. Nachdem ich ein weiteres Stück gegangen war stand ich auf einem Markt, der mitten auf der Straße aufgebaut war und der fast völlig ohne Tische auskam. Es waren Decken und Tücher ausgebreitet, auf denen Obst und Gemüse, vor allem Knoblauch ohne Ende, aber auch Nüsse und Ramsch feilgeboten wurden. Der Markt ging dann irgendwann auch in eine Seitenstraße und über einen Dreck-Platz, wo dann auch wieder Stoffe in den verschiedensten Arten angeboten wurden. Das war nun annähernd das, was ich unter einem Bazar verstehe: Es waren Tücher gegen Sonne bzw. Schauer über die Stände und Waren gespannt und es wurde tüchtig gefeilscht. Ich habe mir dann einen Wischer für mein Bad gekauft. Das wird nämlich beim Duschen jedes Mal unter Hochwasser gesetzt. Aber ich muss gestehen, dass ich nicht gefeilscht habe, denn der Wischer sollte 35 Rupees kosten. Das entspricht 45 Cent. Ich wollte nicht feilschen, weil ich mich noch im Spiegel ohne schlechtes Gewissen betrachten wollte… Nun war es auch schon Zeit, nach Hause zu gehen. Sightseeing wartete.

 Ziel: Shalimar Garden. Abfahrt 13:30, Fahrzeuge: zwei weiße Toyota Corolla mit je einem Fahrer bestückt. Erste Aktion: Einen neuen Kollegen im Best Westen Hotel abholen (eine Namensähnlichkeit mit dem Best Western Hotel ist auffällig, aber nicht zufällig!!). Von dem Kollegen, einem kroatischen CAD-Zeichner, wusste ich nur, dass er sehr schwierig ist. Als wir ankamen, war er noch am Mittagstisch und wir mussten etwa 20 Minuten auf ihn warten. Nachdem er sich später im Auto noch beschwert hat, dass der Fahrer die Klimaanlage gar nicht eingeschaltet hat (Mr. Walker und ich hatten Jacken an, Mr. Branko: „I’m boiling!“) war klar: sehr schwieriger Fall!

 Shalimar Garden stellte sich als alter Garten heraus, der auf drei Ebenen liegt und ein paar Wasserkanäle mit Fontänen beherbergt. Die meisten der Fontänen sehen aber so aus, als ob sie seit zwei Ewigkeiten nicht mehr in Betrieb sind. Mr. Walker und ich hatten uns beide Reiseführer im Second Hand Shop um die Ecke gekauft. Er hat das Buch „Pakistan Hand Book“ von 1996 bekommen. Ich war etwas später da gewesen und es war nur noch die Ausgabe von 1989, die erheblich dünner ausgefallen ist, zu haben. Beide Bücher preisen Shalimar Garden aber gleich an: großer Park, viele Blumen, viel Wasser und u.a. sonntags von 15-16 Uhr Wasserspiele. Beide Reiseführer stellten sich als völlig veraltet, aber auch ganz und gar veraltet heraus. Park ist richtig. Aber da hört es auch schon auf. In Kassel in der Orangerie sind im Sommer wahrscheinlich mehr Blumen auf der Wiese zu sehen als dort. Man konnte aber anhand der Rasenstruktur noch Blumenbeete erahnen, die von besseren Tagen zeugten. Wasserspiele? Nun, die Fontänen habe ich ja bereits beschrieben. Und als es 15 Uhr wurde und nix passierte, beschlossen wir, einen Tee im Kaffee zu trinken und heim zu fahren. Wir gingen also von der unteren auf die obere der drei Ebenen und plötzlich … plötzlich kam aus den Fontänen auf der ersten Ebene Wasser!! Unglaublich! Und auch nicht weniger witzig. Denn durch mangelnde Wartung waren die Düsen der Springbrunnen so verkalkt, dass jeder Wasserstrahl anders aussah. Davon habe ich aber ein Foto gemacht, dass ich zeigen werde, sobald der Film entwickelt ist. Tee gab es dann, obwohl Wasser kam, und dann ging es nach Hause.

 Da wir schon um 16:00 daheim waren, es aber erst um 19:00 Essen gab, beschlossen Christian und ich, in die Altstadt zu fahren, um uns dort umzutun. Wir also in eine Motorrikscha rein (ja Sari, die haben hier Motoren und sind rrrrrrrasend schnellllllll! - Foto folgt) und für 80 Rupees (1,04 Eu) einmal durch die Stadt. Das war ein Erlebnis für sich: holprig, laut, rasant. Am Lohari Gate angekommen tauchten wir in eine völlig andere Welt ein. Das war eines der Erlebnisse, die man nicht in Bildern festhalten kann – wir haben es trotzdem probiert. Ein reges Markttreiben, wie man es vielleicht aus Dokumentationen kennt. Straßen, die nicht breiter als 4 m sind, gesäumt von kleinen Läden, die im Erdgeschoss von uralten, malerischen, dreckigen Häusern liegen. Hier eine Garküche, dort ein Ramschladen, Frisör, Obsthändler. Sogar Hühner kann man hier kaufen. Lebend oder direkt vor den Augen des Kunden geschlachtet, ausgenommen und zerlegt und das wahrscheinlich zu einem Spottpreis (wir haben das nicht ausprobiert). Es war atemberaubend. Über allem thront ein Wirrwarr aus Stromleitungen und darin verfangenen Drachen. Drachensteigenlassen ist eine der Hauptbeschäftigung der Kinder in Lahore. Sie in Hochspannungsleitungen zu fliegen eine weitere. Alle paar Meter trifft man Leute, die einen mit „Hello, how are you?“ grüßen, oft unterstrichen durch einen Handschlag und ein freundliches Grinsen. Wir haben uns also die Altstadt eine ganze Zeit lang angesehen und eine Menge Impressionen gesammelt. Ich kann bei Weitem nicht alles wiedergeben und ich glaube, dass man das Wichtigste auch gar nicht wiedergeben kann. Also probiere ich es gar nicht erst. Ich kann nur sagen: Lahore ist eine schöne Stadt, kulturell sehr vielfältig, sehr anders als Europa und sozial sehr schwach. Es ist eine schöne Erfahrung. Teilweise fühlt man sich ins Mittelalter zurückversetzt, z.B. wenn man an Ochsenkarren vorbeigeht oder wenn man die Gosse am Straßenrand durch die Altstadt fließen sieht. Ich kann Europäern einen Trip nach Lahore nur empfehlen. Man taucht in eine andere Welt, orientalisch, exotisch, freundlich, … und verdammt scharf!! Das Essen hier ist nämlich meistens unerwartet scharf gewürzt. Eine Schale normaler Reis kann da oft schärfer sein, als man denkt!

 Die Rückfahrt ins Guesthouse haben wir dann wieder mir einer Rikscha gemacht, Beschreibung wie Hinfahrt. Es war ein sehr Ereignisreicher Tag für mich und ich gehe jetzt mit vielen neuen Bildern, Eindrücken und Gerüchen (oft erbärmliche) im Kopf ins Bett und werde das alles erstmal einsortieren. Meine Befürchtung ist, dass ich in den nächsten Newslettern von nicht mal einem Bruchteil an neuen Erfahrungen erzählen kann, wie in diesem. Ich hoffe, dass ich noch viele solcher Erfahrungen erzählen kann. Wir dürfen gespannt sein…

 

Bis zum nächsten Mal

 

Liebe Grüße

Jon (Sven)


 

Pakistan Newsletter iii, March 12th

 Hallo liebe Newsletter-Leser.

 

Ach Du Scheiße! Es ist ja schon fast Mitte März! Meine Herrn, wie die Zeit verfliegt. Wenn das so weiter geht, dann fliege ich ja übermorgen schon wieder heim – relativ gesehen natürlich nur. Das heißt aber auch, dass ich in zwei Tagen meine Diplomarbeit fertig haben muss – auch wiederum nur im übertragenen Zeitverhältnis. Aber zum Glück nur im Übertragenen, denn was kann in zwei Tagen schon alles geschrieben werden? Das kann ja schon nix geben. Naja, jedenfalls ist mir heute bewusst geworden, dass ich mich mal ein Bisschen mehr um den eigentlichen Zweck meiner Reise kümmern sollte, nämlich die Anfertigung meiner Diplomarbeit. Nicht, dass ich etwa nur rumgetrödelt oder Material für meinen dritten Newsletter gesammelt hätte. Oooh nein! Weit gefehlt! Ich habe mich um das Projekt gekümmert und mich dabei etwas im Detail verlaufen. Das kann schon mal sehr schnell passieren. Aber nun bin ich auch stolz auf meine Leistung. Denn immerhin habe ich eine Spiegellagenberechnung für Schussrinnen in Excel programmiert. Mit Makros sogar! Und davon einer ganzen Menge! Gut, ich bin eigentlich über Umwege dahin gekommen. Ich wollte eigentlich was ganz anderes machen. Eigentlich wollte ich Massen und Kosten ermitteln und habe gemerkt, dass es keinen Sinn mach, solange man gar nicht weiß, wovon man sie ermitteln soll. Also so gesehen hat es schon was damit zu tun. Und eigentlich müsste man vielmehr anerkennen, dass ich immerhin zuerst gemerkt habe, dass ich nicht von nix Massen und Kosten ermitteln kann…

 So, genug gefaselt! Aber wenn ich schon mal beim Thema Arbeit bin, dann kann ich ja vielleicht mal kurz anreißen, um was es sich überhaupt bei meiner Arbeit und dem Munda Multipurpose Dam Project geht. Letzte Woche habe ich nämliche eine e-Mail von Sarah bekommen, in der sie fragte, was ich hier überhaupt mache. Und da dachte ich mir, dass das vielleicht auch andere Leute interessieren kann…

 Das Munda Multipurpose Dam Project ist ein Staudamm-Projekt, das zur primären Aufgabe hat, Strom zu erzeugen. Da es sich bei dem Finanzier für die Anlage um einen privaten Investor handelt, kommt nach dem Nutzen für die Wasserkraft erst mal lange gar nichts. Dann kommt, irgendwann, ein weiterer Nutzen: Unterhalb der Dammstelle wird durch ein bestehendes Bauwerk Wasser zur Bewässerung von landwirtschaftlich genutzten Flächen entnommen. Wenn wir also über das Jahr gleichmäßig Wasser aus unserem Stausee ablassen, dann profitieren die also auch davon. Das hat für uns den Vorteil, dass wir das Ding „Multipurpose Dam“, also Damm mit Mehrfachnutzung, nennen können. Das ist gut für’s Prestige…

 Als dritten Nutzen haben wir da noch den Hochwasserschutz, der sich, so komisch es auch klingt, nicht ganz vermeiden lässt. Sind also insgesamt drei Nutzungsarten für ein und denselben Damm. Wow!

 Der Damm selber wird etwa 180 bis 200 m hoch. Ganz raus ist das immer noch nicht, aber um das festzulegen sind wir ja hier. Der Damm erhält eine außen liegende Betondichtung und muss, sozusagen als „Level 2“-Aufgabenstufe, auch noch erdbebensicher sein, was bei der Größe gar nicht so einfach ist. Er sollte aber auch so nicht einstürzen, Erdbeben hin oder her. Kurz bevor ich hier in Pakistan angekommen bin sind nämlich wegen starker Regenfälle zwei etwa 25 m hohe Dämme hier im Norden Pakistans gebrochen. Da hatte Lahmeyer aber nix mit zu tun, was mich sehr hoffen lässt… Die Ausbaugröße der Wasserkraftanlage wird bei etwa 640 MW liegen, was einem kleineren Atomkraftwerk entspricht. Der Strom wird in einer Kaverne erzeugt, also in einem künstlich in den Berg gebrochenen, gigantisch großen Hohlraum. Die Wasserzu- und Ableitung zur Kraftkaverne muss dann natürlich auch in Tunneln erfolgen, die auch eigens dafür in den Fels gehauen werden. Was ein Aufwand! Aber es lohnt sich. Jedenfalls sollen wir das so hindrehen, dass es sich lohnt, denn nach der bestehenden Planung der Japaner lohnt es sich nicht. Es wird also wild rumoptimiert was das Zeug hält. Und da komme ich ins Spiel! Taddaaaa! Denn für die Bauzeit muss der Fluss natürlich um die Baustelle herumgeleitet werden. Einfach abbestellen wie den Strom zuhause geht nicht, das haben wir schon durchgespielt. Die Unterlieger würden dann wahrscheinlich so dumm aus der Wäsche gucken, dass man ständig mit dem Finger auf uns zeigen würde. Fällt also aus. Das Wasser in Eimern auffangen, um die Baustelle herum tragen und am unteren Ende wieder ins Flussbett schütten klingt auch verlockend, ist aber zu aufwändig. Es kommen nämlich im Mittel 200 m³/s an Wasser an, also 200 x 1.000 l = 200.000 l pro Sekunde, die wegzuschaffen sind. Das sind pro Sekunde 20.000 Putzeimer Wasser. Man benötigt bei strammem Fußmarsch etwa eine Stunde für die Strecke um die Baustelle und zurück. Das heißt, dass ein Träger 60 x 60 = 3600 Sekunden unterwegs ist, um zwei Eimer Wasser (er hat ja zwei Arme!!) wegzutragen. D.h., man bräuchte also 3.600 x 10.000 = 36.000.000 Helfer, die Tag und Nacht Wasser tragen. Da das in mindestens zwei Schichten laufen muss, sind also etwa 72 Mio. Menschen nötig. Wenn man 5,6 Mio. Arbeitslose abzieht, die Deutschland als „Entwicklungshilfe“ schicken könnte, bleiben also noch 66,4 Mio. willige Arbeitskräfte, die nötig sind. In China leben ca. 1.000 Mio. Menschen. Vielleicht könnten die ja aushelfen ...

 Also, es ist nicht ganz so einfach. Darum soll der Fluss während der Bauzeit durch einen oder sogar zwei Umleitungstunnel um die Baustelle geleitet werden. Diese werden nur zur Trockenlegung der Baustelle verwendet und danach nicht mehr gebraucht. Ein kleinerer Damm, der oberhalb des Hauptdammes errichtet wird, sorgt dann dafür, dass das Wasser auch tatsächlich in die eigens für es bereiteten Tunnel hineinfließt und sich nicht kurzfristig doch überlegt, dass es lieber im gewohnten Bett weiter fließen will. Wie ihr seht ist dieser Teil der Baumaßnahme sehr aufwändig (zwei Tunnel und einen kleinen Damm) und daher auch sehr teuer. Mein Job ist es also, diese Mimik so günstig wie möglich zu gestalten und daraus dann meine Diplomarbeit zu stricken. Dieses Problem ist sehr vielschichtig und enthält hydraulische, konstruktive, statistische, hydrologische und Kostenaspekte, um nur einen Teil zu nennen. Wird aber bestimmt viel Spaß und Arbeit machen. Und immerhin habe ich ein festes Zeitlimit, denn mein Rückflug ist schon gebucht. Bislang habe ich mich aber mit allem möglichen anderen Kram beschäftigt. Außer „Ti plies, Sir?“ zu trinken und den Leuten vom Office Staff beizubringen, wie man vernünftig kopiert habe ich bereits erwähntes Spiegellinienprogramm geschrieben und die Hydraulik für die Wasserzuleitung zur Kraftkaverne berechnet. Und ehrlich gesagt habe ich zu viel gearbeitet und zu wenig Sight Seeing gemacht, denn was das angeht muss ich euch auf den nächsten Newsletter vertrösten. Denn das werde ich erst morgen einschieben. Dann wird mal nicht gearbeitet und die Stadt etwas näher besichtigt. Lahore hat immerhin 5.000.004 Einwohner und sicher noch das Ein oder Andere zu bieten, was ich bislang noch nicht gesehen habe.

 Man muss aber eigentlich gar nicht auf Sight Seeing Jagd gehen, um was zu berichten. Denn es ist immer noch alles sehr neu und wenn man die Augen aufmacht, dann findet man immer wieder neue Dinge, die hier anders sind als bei uns. Denn obwohl ich sie bei mir zu Hause in Kassel manchmal hätte brauchen können, so hatte ich doch bei Hesse und Partner keine Gunmen vorm Bürogebäude stehen. Unsere zwei Gunmen, das sind mit Knallbüchsen bewaffnete Männer, die auf weißen Plastik-Gartenstühlen vor dem schweren Eisentor unserer Büroauffahrt sitzen und aufpassen, dass uns keiner bei der Arbeit weckt. … Wobei: Das ist eigentlich gar nicht nötig. Bei dem Krach, den die lokalen Kollegen ständig verursachen kann eh keiner ein Auge zu tun. Das ist immer ein Lärm vor meinem Büro… Aber ohne auf die Uhr zu gucken weiß ich, wann es 16:30 ist: nämlich dann, wenn der Krach aufhört! Besser ist es freitags mittags. Da hört der Lärm schon um 12:30 auf. Dann rennen die meisten nämlich zum Freitagsgebet und verschwinden bis Samstagmorgen.

 Sarah hat mir zu Weihnachten ein Buch von einem Journalisten geschenkt, der das Leben in Pakistan ein Wenig geschildert hat. Ok, das Buch heißt „Islamabad Blues“ und sieht vieles viel zu negativ. Aber eine Sache habe ich mir gemerkt und ich muss immer wieder darüber schmunzeln: Die Pakistanis sagen zu allem: „No Problem“. Einmal musste ich mich bei unserem Zeichner beschweren, der die Profile, die ich bei ihm bestellt habe, nicht richtig gezeichnet hat. Seine Antwort: No Problem, Sir. Oder noch besser ist Mumptas, unser Koch / Haus“mädchen“ mit Schnauzbart. Mein Waschbecken in meinem kleinen beschaulichen Badezimmer ist schon seit ich es vor drei Wochen in Betrieb genommen habe undicht. Ständig läuft mir das Wasser auf die Füße und deshalb habe ich eine Plastiktüte darunter gestellt, die dafür sorgt, dass wenigstens die nicht zur Dusche zählige Seite meines Bades einigermaßen vom Hochwasser verschont bleibt. In der ersten Woche habe ich ihn freundlich und sehr höflich gebeten, mal danach zu sehen. No Problem, Sör. Nichts tat sich. In der letzten Woche habe ich ihn dann mal mit ins Bad genommen, um ihm zu zeigen, was ich meine. Vielleicht hatte er mich ja nicht verstanden? Er hatte mich verstanden. Er sah sich die Sache geduldig an. No Problem, Söör. Anfang dieser Woche habe ich dann noch mal nachgefragt, was denn der Waschbecken-Undichtigkeiten-Beseitigungs-Spezialist so macht. Ich habe nämlich mittlerweile mitbekommen, dass er es nicht selbst macht, sondern einer aus der Stadt kommt. „Oh, I try all day ringing him, Söör. I talked him. No Problem, Söör.” Meine Waschbeckenundichtigkeit habe ich nun als Pakistan Style in die Liste der Selbstverständlichkeiten aufgenommen. Ebenso selbstverständlich ist es mittlerweile, dass der Gärtner seinen kleinen schiebbaren, mechanisch betriebenen Handrasenmäher auf seinem Fahrradgepäckträger transportiert. Oder dass man auf einem Moped auch mit einer sechsköpfigen Familie Platz findet! Es ist kaum zu glauben: Papa fährt (auch hier!), Sohnemann sitzt auf dem Tank und hält den Jüngsten in den Fahrtwind. Hinter Papa sitzt kleine Tochter, dahinter Mama, die auch ein Baby hält. Sechs Menschen auf einem Moped, das mir damals mit zwei Leuten schon zu eng vorkam. Mit dem Fahrrad kann man übrigens auch Schubkarren ganz hervorragend transportieren.

 Letzten Samstag waren wir alle außerhäusig essen. In Lahore gibt es ein Restaurant, das einem Künstler gehört. Es heißt „Coco’s Dan“ und liegt strategisch äußerst günstig zwischen dem Fort, der großen Moschee, der Altstadt und dem Rotlichtbezirk, hier liebevoll „Dancing district“ genannt. Man geht im Erdgeschoß zwischen zwei großen Garpfannen, die für den Straßenverkauf dienen, durch den Eingang und kommt zu einer Art kleinem Empfangstisch, auf dem ein Buch für Reservierungen liegt. Glücklicherweise hatte ich einen Tisch für fünf Leute bestellt, denn Coco’s ist samstags sehr voll. Durch einen Zeremonienraum mit langer, schmaler Esstafel geht es dann in ein kleines Treppenhaus, dessen Stufen etwa eine Tritthöhe von 40 cm haben (normal sind 17 bis 20 cm). Wenn man sich dann oben aus der Spindel schält steht man auf dem Dach. Dort sind dann viele verschiedene Tische aufgebaut mit jeweils unterschiedlichen Beleuchtungen darauf. Diese Dachterasse hat jedoch nicht nur eine Ebene, sondern viele unterschiedliche, die jeweils mit einem anderen Bodenbelag versehen sind. Höhepunkt ist eine Art Brücke oder kleines Plateau, auf das eine superschmale Treppe führt und das so schmal ist, dass nur ein Tisch für zwei schlanke Personen Platz findet. Man ist dann etwa drei Meter über den anderen, also ganz ganz oben. Nachteil: bei Gewitter ist man als erster gar! Wir haben uns auf eine Ebene gesetzt, die wohl dem Nachbarn gehört oder angemietet ist… ist ja auch egal. Von hier aus hat man einen traumhaften Ausblick auf den Innenhof der Moschee, die wirklich riesengroß ist und an allen vier Ecken ein Minerett hat. Allerdings sind da ebenso riesige wenngleich sehr pragmatische Lautsprecher dran, die das Gejaule des Muhezin verstärken. Übrigens weiß ich jetzt erst so recht unsere dezenten Kirchenglocken zu schätzen… Man sitzt also auf dieser Dachterasse und lässt die Aussicht auf sich wirken. Vorne Dachterassen-Flair, dann Moschee im rustikalen Stil und ganz im Hintergrund ein hell beleuchtetes Riesenrad aus dem Vergnügungspark, der sich um die Ecke unseres Guesthouses befindet. Etwas von allem also. Übrigens habe ich für mich schon mit dem Gedanken, in den Vergnügungspark zu gehen, abgeschlossen, als ich das erste Mal gesehen habe, dass sich die Achterbahn durchbiegt wie eine Hängematte wenn die Wagen darüber fahren.

 Zurück zum Restaurant: Wir haben also zunächst einen grünen Tee bestellt. Die Bestellung ging von uns an den Tisch-Kellner, von ihm an eine Art Kontaktmann, der am Telefon saß. Offenkundig kommen die Getränke nicht von der Dachterasse selber sondern aus dem Untergeschoß. Plötzlich fällt ein geschäftiges Treiben am Rande der Dachterasse auf. Zwei Leute ziehen wie bekloppt an einem Seil. Nach etlichen Metern Seil kommt eine Art Wok zum Vorerschein: der Tee ist da! Da wir noch eine Ebene höher sitzen wird der Tee von zwei fleißigen Helfern in einen zweiten Wok-Lift gestellt, der sich dann auf unsere Ebene liftet. Unser Tischkellner bringt uns dann das weitgereiste Getränk. Und jetzt ratet mal, wie unser Essen auf’s Dach gekommen ist! Die eingangs erwähnten Pfannen im Eingangsbereich sind nämlich keineswegs nur für den Straßenverkauf gedacht. Unser Essen wurde also am Straßenrand zubereitet, in einem Wok am Strick über vier Stockwerke aufs Dach gezogen, von da aus eine weitere Etage höher mit einem zweiten Lift und von unserem Tischkellner an unseren Tisch und hier wieder ein Stück runter in unsere Mägen transportiert. Jedenfalls konnte es derjenige so tun, der auch tatsächlich mit Essen bedacht wurde. Denn während meine fünf Kollegen schon alle fleißig ihre weit gereisten Speisen verputzt hatten wartete Villariba, in diesem Falle ich, immer noch. Aber was lange wehrt wird endlich gut. Das Essen war ganz ausgezeichnet. Ich hatte Hammelkottelettchen mit … na, Hammelkottelettechen reichen ja eigentlich auch! Beilagen gibt es nur auf Bestellung. Zum Glück hatten wir Brot am Tisch. Geschmacklich hat das Essen aber alles entschädigt. Und der Preis war auch sehr ok.: umgerechnet sechs Euros. Nach diesem opulenten Mahl haben wir uns dann wieder ins Guesthouse kutschieren lassen und ich habe mir noch eine DVD aus good old Germany angesehen: James Bond, Stirb an einem anderen Tag.

 Die restliche Woche war dann wenig ereignisreich. Bis auf vergangenen Mittwoch vielleicht. Da haben wir nach dem Essen noch zusammen gesessen, was ohnehin schon eher ungewöhnlich ist, und – pssst! – Alkohol getrunken! Jaaa. Mein schottischer Project Manager Mr. Walker hat aus seinem Koffer eine halbe Flasche Jonny Walker Black Label schottish Whiskey und zwei Flaschen Gin hervorgekramt. Übrigens heißt Mr. Walker selber zwar Robert mit Vornamen, sein Vater heißt aber John. Dieser Alkohol befand sich in originaletikettierten Plastikflaschen. Fachleute wissen, dass diese bei der Kofferdurchleuchtung am Flughafen nicht erkannt werden. Wir haben an diesem Abend einen Kollegen verabschiedet, der tags drauf nach Hause geflogen ist. Dieser Kollege ist übrigens siebzig Jahre alt. Nein, Lahmeyer macht sich keine Sorgen um Nachwuchs. Sie recyceln einfach die Alten immer wieder!

 Nicht recyceln aber regenerieren werde ich mich am morgigen Sonntag. Ich werde euch auf dem Laufenden halten…

Bis dahin alles gute aus dem 25°C warmen Lahore!

Mr. Sven, Söör

 Übrigens habe ich euch heute einen Ausblick vom Balkon unseres Guesthouses mitgeschickt, die ich mit meiner kleinen Webcam gemacht habe. Sorry, habe immernoch keine eigene Digitalkamera. Werde mich drum kümmern… Dann gibt es auch ein paar schöne Bilder von der Stadt und anderem.

 

 

Lahore Newsletter iv, March, 20th. 2005

 

Hallo liebe Newsletter-Leser!

Nachdem ich mich letztes Mal dafür entschuldigt habe, dass ich keine Zeit hatte, was erzählenswertes zu erleben, habe ich mich gleich am Sonntag auf Expedition begeben. Allerdings ist am Samstag vorher ein unterschwellig brodelnder Vulkan eruptiert: Es gab die erste Auseinandersetzung im Guesthouse. Erinnerte ein Bisschen an den Big Brother Container. Und wenn ich es mir so recht überlege, dann kann man das Haus eigentlich ganz gut mit diesem Medien-Klitschen-Kasten vergleichen. Immerhin sehen wir uns auch täglich, hängen auf engstem Raum zusammen und reiben uns halt ab und zu auch mal. Der Unterschied ist nur, dass bei uns keiner Filmt. Noch nicht. Mal sehen, ob ich meine Webcam nicht geschickt im Speiseraum platzieren kann…

Mein Supervisor Mr. Walker und unser AutoCAD-Zeichner Branko Smrzlic (gesprochen: Smirslitsch oder einfach Branko) hatten eine heftige Auseinandersetzung. Branko, ein notorischer Nörgler und Meckerfritze, hat sich mal wieder über irgendeine Scheiße beschwert und Mr. Walker ist der Kragen geplatzt. Huuuh…! Das sind zwei Hitzköpfe! Branko pflegt es, sich über Hygiene, oder in seinem Fall besser mangelnde Sterilität, und das Essen zu beschweren. Ich habe so etwas noch nie erlebt. Unser Koch und Mausmädchen mit Schnäuzer „Mumptas“ hatte bis vor Kurzem öfter mal abends Gäste zu besuch. Gut öfter ist eigentlich untertrieben, denn eigentlich waren sie immer da. Und dass sie zur Essenszeit kamen war sicherlich auch kein Zufall, denn immerhin bleibt von unserer reichlichen Tafel stets ein nicht zu verachtender Teil der Speisen übrig... Jedenfalls war es Branko überhaupt nicht recht, dass so viele Leute in der Küche saßen, die dazu noch mit dem Essenmachen auch nicht im Entferntesten was zu tun haben, eher mit dessen Vernichtung. Er sagte, dass es dermaßen unhygienisch sei, wenn die alle da rumhängen. Dazu sei vielleicht vorab das folgende gesagt: Wir sind hier in Pakistan. Überall ist es staubig. Überall ist es unsauber, denn die Pakistani definieren den Begriff „sauber“ halt etwas anders als wir Europäer. Übrigens ist Branko Jugoslawe, Serbe glaube ich. Ich habe euch doch von Coco’s Den erzählt, dem Restaurant in der Altstadt, in dem das Essen am Straßenrand gekocht wird und per Seillift nach oben befördert wird. Das ist hier eher Standard. Branko hat also die ersten zehn Tage in einem Hotel am Liberty Market gewohnt, weil sein Zimmer im Guesthouse noch nicht frei war. In dieser Zeit hat er es geschafft, den Bediensteten des Hotels den letzten Nerv zu rauben und sich bei uns einen Ruf einzuhandeln, der seiner Person um Meilen vorauseilt. Er hat es sage und schreibe gewagt, in die Küche des Hotels zu marschieren, sie zu inspizieren, daraufhin die gesamte Mannschaft der Küche um sich zu versammeln und erstmal einen Kurzvortrag über seine Vorstellung von Hygiene zu halten. Ich habe vielleicht gelacht, als ich das gehört habe! Ich dachte, sowas gibt es nur in Komödien Luis de Fuines (hoffe, dass er sich so schreibt, Doro??). Der Typ hat jedenfalls voll den Hygienehau und beschwert sich natürlich alle Nase lang. Einmal waren wir mittags in einer kleinen Garküche zum Reisteller-Essen. Der Typ hat es geschafft, trotz knurrendem Magen vor seinem Teller zu sitzen und nicht einen Fitzel anzurühren, weil ihm das zu unhygienisch war! Vier andere haben es sehr gut überlebt! Noch nicht mal die Cola aus der Flasche hat er angerührt, weil ein Strohalm drin war!

 Branko hat sich also am Samstag darüber beschwert, dass es in unserer Küche zu unhygienisch ist und dass zu viele Leute im Haus sind. Mr. Walker sah dagegen keinen Handlungsbedarf. Nachdem Branko nicht locker ließ und schon fast penetrant versuchte, auf Walker einzuwirken, sagte dieser, dass sich Branko zu viel beschwere. Oooh, dass nahm Branko sehr persönlich! Er findet es ziemlich normal, dass man dem Office-Manager aus unserem Büro den schmutzigen Lappen unter die Nase hält, mit dem man erst seinen Schreibtisch abgewischt hat. Nur, um zu zeigen, wie dreckig er war. Na klar, mache ich auch jeden Morgen so! Und dann bekomme ich das Tuch als Teebeutel serviert, weil ich mich so höflich beschwert habe… nein, natürlich nicht. Es gab also einen heftigen Disput, der damit endete, dass Branko aufstand und ging. Seitdem lieben die zwei sich nicht mehr so sehr, um es mal zu umschreiben. Ich finde dieses Ereignis deshalb so erwähnenswert, weil mich das sehr erschüttert hat. Es hat eine völlig disharmonische Note in meine neue Heimat gebracht, und sie ist serbischen Ursprungs. Übrigens sei der Vollständigkeit halber noch erwähnt, dass Mr. Walker dann tatsächlich ein Machtwort gesprochen hat, nachdem er auf der Suche nach Mumptas zuerst am Kühlschrank einem Fremden begegnet ist und er dann in der kleinen Nebenküche zwei weitere Typen gefunden hat, ganz zu schweigen von dem Kinderwagen, der schon seit Wochen bei uns in der Küche als Einkaufswagen getarnt steht. Seitdem ist es sehr ruhig in unserer Küche, fast schon friedhofsstill. Wahrscheinlich bis nächste Woche…

 An dieser Stelle möchte ich einen kleinen Hinweis loswerden: Seit Samstag bin ich bei Web.de als free-phone-Nutzer freigeschaltet. Das ist Telefon per Internet. Habe das heute gleich mit meinem Versuchskaninchen, das ich auch Papa nenne, ausprobiert. Klappt hervorragend und kostet nur ein Cent die Minute. Jedenfalls wenn ich jemanden anrufe. Wie teuer es ist, wenn ich mich anrufen lasse, bringe ich noch in Erfahrung und liefere ich nach. Meine Nummer, unter der ich erreichbar bin, solange ich online bin, also quasi die ganze Arbeitszeit über, habe ich unten in der Signatur aufgenommen (hoffendlich vergesse ich es nicht). Wenn ein anderer DSL, ein Headset und web.de free-phone hat, kann man sogar kostenlos telefonieren. Einziger Nachteil ist halt, dass ich nur auf der Arbeit damit telefonieren kann. Ärger bekomme ich sicher nicht, wenn ich mal telefoniere. Aber Ruhe herrscht dann auch nicht.

 Ok, nach diesem kurzen Merchandising für Web.de nun weiter. Am Sonntag war ich mal wieder laufen, in dem kleinen Park bei uns um die Ecke. Und obwohl ich diesmal viel früher als letzte Woche war traf ich wieder den einen Kerl, der mich letzte Woche schon vom Laufen abhalten wollte. Das können Pakistanis im Allgemeinen ganz gut. Sie verwickeln einen dann in endlos lange Gespräche und halten einen z.B. von der Arbeit ab, wenn man sich die Beine vertreten will und ein wenig geistige Zerstreuung braucht. Dieser Typ tauchte also wieder auf und wartete diesmal geduldig, bis ich meine letzten beiden Runden gelaufen bin. Und wie letzte Woche sprach er auch diesmal kein Englisch. Er hat sich nicht an sein Versprechen gehalten und Englisch gelernt!! Aber nächste Woche, hat er gesagt. Ich habe ihn also mal wieder nicht ganz verstanden, da wir uns per H. u. F. unterhalten haben (Hand und Fuß). Aber ich habe verstanden, dass er sich erkundigt hat, ob ich in der nähe wohne und ob ich ein Bett hätte. Als er dann irgendwas mit „love“ gefaselt hat fiel mir plötzlich sein goldener, kleiner Ohrring auf der rechten Seite auf. Sehr unüblich für Moslems, wie ich finde. Ich trage übrigens zwei Ohrringe auf der linken Seite, für alle, die es noch nicht wussten. Ich schloss also messerscharf, dass es an der Zeit war, meinen Arsch zu retten! Ich habe ihm also gesagt, dass ich nun weiter müsse und dass wir uns ja am nächsten Sonntag sicher wiedersehen würden. Heute ist wieder Sonntag. Ich war nicht im Park. Hoffentlich wartet der arme Kerl nicht immer noch da auf mich. Ich war heute nämlich gar nicht laufen sondern im Büro. Aber nicht, dass ich mich gedrückt hätte, oh nein. Ich wollte nämlich nur Zeit gewinnen, um heraus zu finden, ob dieser Ohrring in Pakistan eine tiefere Bedeutung hat. Auf jeden Fall will ich nächsten Sonntag, wenn ich Laufen gehe, eine eindeutige Zeichnung mitnehmen, aus der zweifelsfrei hervorgeht, dass ich nicht dieser Art von Markt zur Verfügung stehe…

 Nachdem ich vom Laufen wieder zurück war, habe ich erstmal ausgiebig geduscht und mich dann eine halbe Stunde in die Sonne gelegt. Wellness in Kurzform und Vitamin D in voller Ladung. Das hat umso mehr Spaß gemacht, da ich wusste, dass in Deutschland Schnee liegt. Dann wollte ich die Stadt auf schuhsters Rappen besichtigen. Habe mich also sommerlich und dennoch nicht anzüchtig gekleidet, also mit langer wenngleich dünner Hose und T-Shirt, Rucksack mit Fotoapparat, Sonnencreme, Reiseführer und eine Flasche Wasser bestückt und bin los. Ziel: Wasser! Den Fluss, der an Lahore vorbeifließt, wollte sich sehen. Zwar hätte ich für 80 Rupies (etwa 1,05 Eu) eine Motorrikscha nehmen können, aber dann erlebt man ja nix. Also ging ich los. Zunächst am Fortress Stadium vorbei. Das habe ich bereits beschrieben. Dort habe ich mir dann einen neuen Fotofilm gekauft, weil ich Kleingeld für die Rückfahrt brauchte. Bemerkenswert hier: der Film wird hier nicht nur verkauft, sondern der Volle ausgebaut und der Neue eingebaut, der Müll entsorgt (möchte nicht wisse wie) und man braucht nur noch bezahlen und Danke sagen. Service am Kunden. Dann weiter über die Brücke in Richtung Wasser. Die Brücke führt über Bahngleise und am Bahnhof vorbei. Wir fahren jeden Morgen mit dem Auto drüber aber man kann aus dem Auto nicht sehen, was direkt unter der Brücke los ist. Die Gelegenheit hatte ich nun. Ich sah auf der einen Seite eine Verladerampe, auf der nagelneue Panzer und FLAG-Geschütze auf Züge verladen wurden. Meine Gedanken kreisten noch bei den möglichen Einsatzgebieten, für die die Waffen vorgesehen wären, als ich auf der anderen Seite meinen Augen ein Bild vorführte, dass ich bislang nur aus Fernseh-Dokus kannte. Am Rande der Bahngleise stehen riesige Masten, an denen Werbeplakate für die Auto- und Mopedfahrer auf der Brücke montiert sind. Daneben eine Müllhalde, auf der es von alten Plastiktüten und Obstschalen nur so wimmelt. In der Mitte aus alten Lappen und Tüchern zeltähnliche Behausungen, in denen Menschen wohnen. Man glaubt es nicht, aber ich habe es mit eigenen Augen gesehen. Faszinierend. Und was ich noch viel faszinierender fand sind die Kinder, die dazwischen spielten und ausgesprochen ausgelassen und glücklich wirkten, Drachen steigen ließen oder einfach nur als Zeitvertreib einen Stock in die Höhe hielten, an dem wiederum ein anderer Stock festgebunden war. Wirklich beeindruckend. Habe direkt Fotos gemacht, aber das Wesentliche konnte ich leider nicht auf Foto festhalten: meinen ersten Eindruck. Unbeschreiblich, unvergesslich.

Ich marschierte also weiter, übrigens immer ein und dieselbe Straße entlang, kam an einem Golfplatz, dem Regierungssitz des Punjab (Gegend um Lahore), zahlreichen Moscheen, dem College, dem Pearl Continental Hotel, dem staatliche Gästehaus von Pakistan, einem Militär-Collage, einem großen offenen Abwasserkanal und zahlreichen Menschen vorbei. Etwa alle zehn Minuten hielt ein Rikschafahrer neben mir an und fragte: „Rikscha?“ Ich lehnte jedes Mal dankend ab. Nach etwa zwei Stunden Marsch durch die Hitze hatte ich mir dann eine Blase an den Füßen gelatscht, weil ich natürlich auf Socken verzichtet hatte. Ich beschloss also, im Bagh-e-Jinnah Garden, an dem ich zufällig grade vorbei kam, eine kleine Rast einzulegen. Dort wanderte ich auf der Suche nach einer schattigen und ruhigen Bank etwas umher. Ich wollte mich mal kurz erholen und möglichst alleine sein. Als ich eine Wiese überquerte grüßte ich, wie üblich, zwei Jungs etwa in meinem Alter, die mich auch prompt anquatschten. „Hi! How are you? Where are you from?” Das Übliche halt. Ich antwortete wie immer “Hi, thanks, fine. Germany” Wir plauderten also ein Bisschen und es stellte sich heraus, dass die zwei Cousins sind und der eine eine Farm in Dubai hat und seine Familie in Lahore besucht. Er werde sich noch mit seinem Onkel treffen und habe eigentlich gar keine Zeit. „Oh“, dachte ich, „wirklich!“ Nunja, sie sagten mir dann, dass auf der nächsten Wiese gerade Cricket gespielt wird und kurze Zeit später tauschten wir noch e-Mail-Adressen aus und die zwei waren verschwunden. Ok, dachte ich mir, dann schau dir doch mal ein Cricket-Spiel an, wenn Du schon mal da bist. Cricket ist hier wie Fußball daheim. Ich setzte mich auf die Wiese in den Schatten und richtete mich gerade gemütlich ein, da kamen zwei Jungs um die Ecke. Ratet mal. „Na, welch eine Freude! Du hier!“ Ok, dachte ich mir, die Jungs können mir sicherlich das Spiel erklären. Das konnten sie auch und das taten sie auch in aller Hilfsbereitschaft und mit Freude. Als der Eine gerade mitten im Redefluss war kam ein Dritter Pakistani an. „Oh, this is Farooq, my cousin. He’s a tailor and works in the zoo.“ Cousin Farooq ist also Schneider und arbeitet im Zoo. Keine schlechte Kombination. Noch damit beschäftigt, mich in das Leben des einen Cousins einzudenken tauche ein weiterer Cousin auf. Familientreffen auf pakistanisch. Und so langsam wurde es interessant, denn die Familie wuchs unaufhaltsam. Als der Onkel endlich eintraf saß ich bereits mit meinem neuen Freund Ambr und vier seiner Cousins zusammen. Das Cricket-Spiel geriet völlig in den Hintergrund. Als wir alle vollständig waren saßen der Onkel, sechs seiner Neffen und ich in einem Kreis zusammen. Ich wurde regelrecht interviewt. Was ich mache, wo ich herkomme, welcher Religion ich angehöre, wie alt ich bin, ob ich verheiratet bin (wird man hier öfter gefragt) und und und… Ambr führte mich seinerseits in das Leben seiner Verwandten ein, erzählte was wer macht, wer Englisch spricht, wer nicht, warum nicht und wann er es lernen wird, wer alles verheiratet ist und nicht zuletzt auch die Namen, die ich zum größten Teil wieder vergessen habe. Aber Fotos habe ich gemacht. Wir saßen also fast zwei Stunden zusammen und es war richtig nett. Der Onkel sang mir zu Ehren sogar ein altes Pakistanisches Volkslied auf Urdu vor. Ich war sehr geehrt. Außerdem habe ich eine Menge über Land und Leute sowie einige Dinge gelernt, die man besser lässt. Schuhe in die Mitte eines Personenkreises zu stellen, und dann auch noch auf den Rucksack, ist ein Tabu! Schuhe dreckig, also auf Erde. Rucksack sauber, also keine Schuhe drauf. Ganz einfach. Zum Abschied Gab es dann noch ein paar gute Ratschläge und eine dicke Umarmung von jedem einzelnen, und einen mir schon eher gebräuchlichen Handschlag obendrauf. Ich versprach, mich auf dem Familienhandy, dessen Nummer ich mittlerweile hatte, zu melden. Das steht bislang noch aus, werde ich aber mit Sicherheit noch tun.

Danach wurde es schon langsam spät und ich war etwas ko, so dass ich mir nur noch ein wenig die Mall anschaute, die große Einkaufs- und Geschäftsstraße, und das Wasser auf’s nächste Mal vertagte. Da es Sonntag war konnte man an der Mall auch gar nicht viel sehen außer ein paar geschlossenen Geschäften. Ich beschloss also, den Heimweg anzutreten. Dafür hatte ich mir etwas Besonderes überlegt: Ich wollte mal eine Rikscha „erstehen“. Ich habe mich also an eine Kreuzung gestellt und gewartet, wie lange es dauert, bis mich der erste Rikschafahrer anquatscht. Es hat zwei Minuten gedauert, was ich schon als lang empfunden habe, aber es war grade nicht viel Verkehr. Für 80 Rupies zurück zum Fortress Stadium, bei Mc Donalds noch fix `nen Burger geschoben (hier habe ich einen Banker aus Karachi kennen gelernt, sozusagen auf die Schnelle) und dann per pedes heim. Da habe ich mich erst mal eine Stunde auf’s Ohr gehauen. Das war nötig, denn abends ging ich noch mit Mr. Walker und Herrn Major zum Bowlen. Das hat auch ne Menge Spaß gemacht, war aber nichts anderes als in Deutschland auch, nur viel billiger. Gegen 23:00 bin ich dann ins Bett gefallen und habe erstmal meine Erlebnisse sacken lassen. Puh, war ne ganze Menge für einen Tag. Nur gut, dass ich nur sonntags Zeit zum erleben habe, sonst würden die Newsletter noch länger und man könnte sie am Ende tatsächlich binden. So ist alles noch schön übersichtlich.

So, ihr Lieben. Ich werde jetzt ins Bettchen verschwinden und heute mal mein Essen sacken lassen. Ich war nämlich mit Mr. Walker auswärts essen und es war mal wieder reichlich, reichlich scharf und reichlich lecker. Morgen starten wir eine neue Woche, an deren Ende vielleicht schon der nächste Newsletter stehen könnte.

 Bis dahin alles Gute und viele sonnige Grüße aus Lahore

 

Euer Mister Sven, Söörrr


 

Lahore Newsletter v, April, 8th.

Hallo liebe Newsletter-Leser,

 lange ist es her, dass ich mich das letzte Mal mit einem Newsletter aus Pakistan gemeldet habe, aber jetzt ist es wieder so weit. Es ist sogar so lange her, dass ich mich kaum noch an den letzten erinnern kann und dass ich sogar nochmal kurz nachlesen musste, was ihr schon alles wisst. Also, es ist viel Interessantes passiert in der Zwischenzeit. Deswegen arbeite ich mich am Besten mal chronologisch vor, um nichts Wichtiges zu vergessen. Zunächst das Wichtigste: Uns geht es gut, die Sonne scheint am laufenden Band und Branko und Mr. Walker verstehen sich wieder ganz gut.

 In der Woche nach meinem letzten Newsletter ist mal wieder nichts wirklich Erwähnenswertes passiert. Die Arbeit macht immer noch Spaß, die Diplomarbeit ist immer noch nicht fertig und die Zeit vergeht hier immer noch so schnell. Ich habe meine Berechnungen bezüglich der Hochwasserentlastungsanlage des Staudammes vorläufig abgeschlossen und kümmere mich jetzt um die Grundlage dafür, nämlich die hydrologischen Grundlagen. Normalerweise wird das anders herum gemacht, also erst wird geschaut, wie viel Wasser kommt und dann wird berechnet, wie groß die Bauwerke sein müssen, aber hier läuft alles etwas anders… Unser Hydrologe hat uns vorübergehend verlassen und ist wieder nach Deutschland geflogen, weil er dort für ein anderes Projekt gebraucht wird. Blauäugig wie ich bin habe ich gedacht, dass er die Berechnungsgrundlagen für die Hochwasserentlastung schon fertig hat. Diese Grundlagen sind nämlich gleichzeitig auch wesentliche Grundlage meiner Diplomarbeit und ich habe in meiner Aufgabenstellung extra erwähnt, dass ich sie aus dem Projekt übernehmen würde. Doch leider stellte sich heraus, dass der Hydrologe sich mit ganz anderen Dingen beschäftigt hat, die zwar nicht minder wichtig sind, aber die für mich grade nicht brauchbar sind. Das heißt für mich, dass ich jetzt auch noch Hydrologe spielen darf und mich mit statistischer Auswertung von Abflussreihen auseinandersetzen darf.

Ohne an dieser Stelle zu tief ins Detail gehen zu wollen möchte ich hier auf Murphy’s Law verweisen, das da besagt, dass alles, was auch nur im Entferntesten schief gehen kann, auch schief gehen wird. Das kann ich bestätigen, jedenfalls was die Hydrologie anbelangt. Es stellte sich nämlich heraus, dass die Ergebnisse der Japaner, die eine Vorstudie zu unserem Projekt gemacht haben, mit ihrer Prognose viel zu hoch lagen. D.h., ich habe bedeutend geringere Abflüsse errechnet als die Japaner, was wiederum im Klartext heißt, dass sämtliche Bauwerke viel kleiner werden. Das heißt für mich, dass ich die Hochwasserentlastung noch mal rechnen kann. Und das heißt, dass der Zeichner (Branko „Brankowitsch“ Smrzlic) seine Pläne auch wieder einstampfen kann (au fein! Er weiß noch nichts davon… der wird sich freuen!! Er macht so gerne Arbeit für die Füße! Kleiner Trost: er sieht immer sehr geil aus, wenn er kurz vor dem platzen ist. Er bekommt dann immer einen hochroten Kopf und erinnert mich dann an irgend so eine Dampflok aus einem Cartoon!) Eine weitere Konsequenz meiner Berechnungen ist, dass die gesamten Kosten für die Wasserkraftanlage um etliche Millionen billiger werden, Größenordnungsmäßig 20-30 Mio.$. Das wiederum hat Mr. Walker auf’s Äußerste erfreut, wie ihr euch vielleicht vorstellen könnt. Da macht man doch gerne die Berechnungen noch mal. Aber das waren schon die Ereignisse von gestern. Ich wollte doch von letzter Woche erzählen. Also…

Sonntag, also den vor fast zwei Wochen meine ich, bin ich morgens wieder im kleinen Park um die Ecke laufen gewesen. Wie ich bereits erwähnte habe ich dort Rafiq kennen gelernt und hatte schon erwartet, ihn wieder zu treffen. Ich habe mich also mit Stift und Papier bewaffnet und bin im leichten Trabschritt losgelaufen. Ich war noch nicht ganz im Park angekommen, da sah ich auch schon den dunkelbraunen Haarschopf von Rafiq. „Prima“, dachte ich. „Dann kann ich ja heute endlich mal klarstellen, was klargestellt werden muss.“ Da ich ja zum Laufen gekommen war bin ich also erst meine Runden gelaufen, bevor ich mich voll und ganz auf Rafiq konzentriert habe. Ihr hättet ihn mal sehen sollen, wie er auf der Bank gesessen hat und mich geduldig wartend zwanzig Minuten lang nicht aus den Augen gelassen hat, dass ich auch ja  nicht durch den Hinterausgang entwische. Nach (für einige von uns endlos langen) zwanzig Minuten habe ich mich dann zu ihm auf die Bank gesetzt und versucht mich mit ihm zu unterhalten. Erwartungsgemäß sprach er auch heute noch nicht fließend Englisch und mein Urdu lässt noch stark zu wünschen übrig. Dann passierte es: Er zog einen Zettel aus seiner Tracht und wedelte damit vor meiner Nase herum. Ich war vollauf begeistert und zückte sofort auch meinen Zettel, um ihn meinerseits unter seiner Nase hin und her zu wedeln. Ja, wir hatten uns das letzte Mal beide richtig verstanden und Papier und Stift mitgebracht. So gut, wie wir uns verstanden, konnte ja gar nichts mehr schief gehen. Bei näherer Betrachtung unterschieden sich unsere Zettel jedoch fundamental: Seiner war beschrieben, meiner nicht! Frei nach dem Motto „Isch hab dat schomma vorbereitet!“ hat er mir also einen Brief mitgebracht, sogar in englischer Sprache und in sauberer Handschrift verfasst. Beides führte mich fast augenblicklich zu der Auffassung, dass Rafiq den Brief nicht selber geschrieben hat. Wie sehr ich damit richtig lag wurde mir aber erst später klar. Ich habe mir den Brief also sehr aufmerksam durchgelesen und war auf das Schlimmste gefasst. Das Wichtigste vorweg: er hat mir keinen Heiratsantrag gemacht. Jedenfalls noch nicht. Er schrieb, oder besser ließ schreiben, dass er aus armen Verhältnissen stammt, dass er krank ist und dass er sehr froh wäre, wenn er mich als Freund hätte. Wenn ich ihm nach dieser Offenbarung immer noch die Hand reichen würde, so würde ich ihn damit sehr glücklich machen. Das hat mich sehr gerührt und ich habe ihm darauf hin meine symbolische Hand gereicht. Er strahlte mich mit leuchtenden Augen an und sagte, nein hauchte:“Jooon, I love you!“ Uaaaaaaaah!!! Sofort zückte ich meinen Zettel und meinen Stift, um ihm was Dringendes klar zu machen. Ich malte zwei Strichmännchen neben einander. Eines mit Hose und Kappe, eines mit Rock. Dazwischen malte ich ein Herz. Dann machte ich eine großen Haken dahinter. Schon ziemlich eindeutig, wie ich fand. Reaktion: Rafiq strahlte mich mit großen Augen an und sagte, auf die Zeichnung deutend: „Joooon??“ Ups! Ich hätte vielleicht mit der anderen Variante anfangen sollen… Da das pakistanische traditionelle Gewand einem Kleid sehr ähnelt führte das also zu Missverständnissen. Nächstes Bild: Zwei Strichmännchen, beide mit Kappe und Hose. Dazwischen wieder ein Herz und jetzt, sehr deutlich, zwei Striche, die das Herz durchstreichen. Da Rafiq alles aus dem Gesicht gefallen ist habe ich gemerkt, dass er nun verstanden hatte. Ich schrieb, zur Sicherheit unter die Männchen noch Jon und Rafiq. Das hätte ich mir aber eigentlich auch sparen können, denn wie sich herausstellte kann Rafiq weder schreiben noch lesen. (Deshalb auch vorhin der Hinweis, dass er den Brief nicht selbst geschrieben haben kann.)  Ich habe ihm dann auch noch einen kleinen Brief auf die Rückseite der Zeichnung geschrieben und erklärt, dass ich mich über seine Freundschaft sehr freue, aber sehr wenig Zeit habe und nur für beschränkte Zeit hier in Pakistan bin. Wir haben dann versucht, uns noch etwas mit H.u.F. zu unterhalten, das aber schnell wieder eingestellt. Ich wollte nämlich noch ans Wasser.

 Ich habe mich also nett verabschiedet und bin nach Hause gejoggt. Dort habe ich mich zum Ausdünsten etwas in die warme Sonne gelegt und dann, nach einer Dusche und einem verspäteten Frühstück, die Tasche für meinen Ausflug gepackt. Diesmal hatte ich mir vorgenommen, das Wasser des Ravi River zu sehen. Bei meinem letzten Ausflug bin ich ja im Jinnah Garden bei der Familie von Ambr hängen geblieben. Ich habe mir also wieder eine Rikscha „erstanden“ und habe dem Fahrer gesagt, dass ich zum „Iqbal Park“ möchte. Der guckte mich zunächst genauso an wie seine Rikscha. Dann habe ich ihm auf der Karte in meinem Reiseführer gezeigt, was ich meine. Etwas unsicher blickend sagte er dann, na was? „No Problem, Sir“ Das hatte ich insgeheim erwartet und grinste innerlich. Nachdem er mir zugesichert hat, dass er nur 80 Rupies für die Fahrt haben wollte, stieg ich ein und wir sind bis zur nächsten Ampelkreuzung gefahren. Dort stand ein Polizist, der darauf wartete, dass die Ampel ausfällt, damit er den Verkehr dann regeln kann. Das ist nicht weiter beunruhigend und hier völlig normal. Also beides: dass die Ampeln öfter am Tag ausfallen und dass der Polizist darauf wartet. Der Rikschafahrer ist also vorgefahren und hat sich erstmal bei dem Polizist nach dem Weg erkundigt. Der fragte mich dann auch noch mal selber, wohin ich möchte, um dann zu verstehen zu geben, dass er gar keine Ahnung hat. Ein paar Meter weiter stand ein Soldat, den wir dann als nächstes ansteuerten. Gleiches Spiel, gleiche Antwort. Bemerkenswert hier: der Soldat war in einem Pickup unterwegs, der nicht anzuspringen schien. Mein Rikschafahrer streckte also aus seiner Rikscha sein linkes Bein heraus, stellte es auf die Stoßstange und gab Gas. Ein paar Meter und der Wagen sprang an. Faszinierend. Nächste Station: Kontrollposten vor einer Brücke, schon auf dem richtigen Weg. Die Soldaten, die er hier fragte, wussten sofort bescheid. Aaah! Ja klaaar! Kostet 125 Rupies. „Ok“, dachte ich mir. Das ist auch noch in Ordnung. Unterwegs zu diesem Park hielt der Fahrer kurz vor den Toren der Altstadt an und fragte: „Wanna walk?“ Geschickter Trick! Halbe Strecke fahren, gleiches Geld abkassieren. Ich fragte: „Does this look like a park?“ Antwort: „No.“ “Na also! Go ahead!” Altes Schlitzohr. Unterwegs rief er mir über die Schulter zu, dass er plötzlich 150 Rupies haben wollte. Antwort: „No! Fixed price.“ “Ok, Sir.” Probieren kann man’s ja mal…

 Iqbal Park ist ein großer Park, der zur Hälfte Vergnügungspark ist und zur anderen Hälfte einfach nur Rasenfläche. In der Mitte steht ein großer Turm, der Pier of Lahore genannt wird und dem Eiffelturm in Paris sehr ähnelt. Ich habe auf und von diesem Turm sonntags drauf einige Bilder gemacht. Ich schlenderte also so durch den Park und wurde, wie immer, wenn ich zu Fuß unterwegs bin, angesehen wie ein Außerirdischer. Viele Leute grüßten mich und ich habe auch brav immer freundlich zurückgegrüßt. Ich habe mal so überlegt: Wenn wir in Deutschland einen Ausländer sehen, sehen wir den dann auch so sonderbar an, als wäre er vom Planeten Ork direkt in unserem Garten gelandet? Ich bin zu dem Entschluss gekommen, dass bei uns die Leute eher dazu neigen, wegzuschauen, wenn sie einen Ausländer sehen. Sehen wir zu oft Ausländer? Sind wir zu abgestumpft? Oder sind wir Deutsche einfach zu unfreundlich, zu kontaktscheu oder zu ängstlich? Haben wir Angst, der Fremde könnte uns plötzlich ansprechen und irgendwas fragen, was wir nicht verstehen oder worauf wir keine Antwort wissen? Sind wir zu perfektionistisch? Wollen wir uns keine Blöße geben, wir Deutschen? Ich habe auf diese Fragen keine Antworten, werde der Sachen aber in Deutschland auf den Grund gehen. Die Pakistani haben jedenfalls überhaupt keine Kontaktscheu, was auch manchmal nicht das gelbe vom Ei ist. Ganz besonders dann, wenn man mal raus aus dem  Büro will, um mal Luft zu schnappen und den Kopf frei zu bekommen…(„Hello Sir, how are you? Is everything fine? Do you want to go anywhere?“ „No, thank you. I only want to get my thoughts freed. I need some menthal confusion and silence.” “Oh, I understand. Hard business, hm? Lot of work I think. And lot of noise in there. I understand. And now you need quietness. I understand.“ „Yes, thank’s.“ „You’re welcome. And it’s a nice day to be outside, no good to be inside all the time…“ „Yes.“ “But in the summertime it will be even hotter. It will be so hot you would not want to leave the office.” “Yes.” “And…” “Yes. Ok, I have to continue work now. Have a nice afternoon. See you.“ „See you, Sir. And If you want to go anywhere…” [typische Szene vor dem Büro])

 Ich durchquerte also Iqbal Park mit seinen vielen Leuten und ging bewusst die Wege, die mir am unbelebtesten erschienen, da ich ja heute das Wasser sehen wollte. Ich bin quer durch den Park gegangen und durch einen Hinterausgang nach draußen. Dort bin ich auf eine Straße gekommen, die ihren Namen nun wirklich nicht verdient hat. Also ich meine die Bezeichnung Straße, nicht den Straßennamen. Ich bezweifle, dass die Straße überhaupt einen Namen hat. Vielleicht war es auch überhaupt keine Straße, denn in der Mitte ähnelte sie sehr viel eher einem See. Eine Riesenpfütze hatte sich vom Regen des Vortages in der Mitte des Weges gebildet. Links von dieser Pfütze waren zahlreiche Karrosseriebauer angesiedelt, die aus alten Transporter-Karosserien wieder funktionierende Autos machten – jedenfalls für pakistanische Ansprüche. Da war eine Schweißerei, in der am Straßenrand die einzelnen Karosserieteile zusammengebraten wurden, eine Lackiererei, wo Führerkabinen, die an des Nachbarn Mauer lehnten, einen neuen Lacküberzug bekommen haben. Und alles spielte sich am Rande dieser riesigen Pfütze ab, um die der ganze Durchgangsverkehr auf einem schmalen Pfad herumwandern musste. Ab hier wurde es auch hygienisch gesehen bis zum Fluss nicht besser. Ich verließ mich auf meinen Orientierungssinn und schlug einen Weg ein, von dem ich annahm, dass er mich zum Fluss führen würde. Das tat er dann auch, nur nicht so schnell wie ich dachte. Auf der Karte sieht alles so übersichtlich aus. Ich ging vorbei an Einzelwarenhändlern, an weiteren Werkstätten für größere LKW, an Waschecken für selbige und anschließend an einer riesigen Menge von LKW. Von denen habe ich zwar noch kein passables Foto, werde ich aber in Bälde nachreichen. Das sagt mehr als eine halbe Seite meiner Worte. Nur so viel vorweg: Macht euch frei von dem Gedanken, wie bei uns LKW auszusehen haben.

 Ich durchquerte also sozusagen das Speditionsvieretel von Lahore und nachdem ich die „modernen“ Fahrzeuge hinter mir gelassen hatte kam ich nun an den älteren Modellen vorbei: Esel, Ochsen und deren Fuhrwerke. Und natürlich deren Ausscheidungen. Ihr werdet es nicht für möglich halten aber wieder waren Seen auf der Straße zu finden, nur diesmal aus schwärzlichem, stark viehharnsäurehaltigem Wasser. Und daneben direkt das Futter der Tiere, das zur Hälfte schon in der Scheiße lag. Das versinnbildlichte mir direkt, dass das Zeug früher oder später eh in diese Laache enden würde…Es dauerte noch eine ganze Weile bis ich den River Ravi dann erreicht hatte. Den hatte ich mir völlig anders vorgestellt, als ich ihn vorgefunden habe. Ich hatte ein Bild im Kopf von Kindern, die im Wasser planschen, Familien, die am Ufer grillen, Sportlern, die auf den Uferwegen am Wasser entlang laufen. Wieder musste ich mich von diesem Gedanken befreien. Was ich sah war in etwa das Gegenteil: Statt Kindern, die am Ufer spielten, sah ich eine Herde Rinder, die auf einer Sandbank am Ufer um einen Futtertrog herumstanden und ihren Herdentrieb praktizierten. Statt am Wasser entlanglaufenden Sportlern sah ich LKW, die Sand von einer Sandbank abtransportierten, um ihn für den Bau der neuen Umgehungsstraße zu verwenden. Statt grillender Familien sah ich ein Familiengrab am Ufer aufgeschüttet. Kurz: Ein Bild, was bezüglich meiner Vorstellungen gegensätzlicher nicht hätte sein können. Enttäuscht, müde und abgekämpft von der staubig-dreckigen Luft beschloss ich, mir eine Rikscha zu nehmen und den Heimweg anzutreten. Und als hätten Murphy’s Gesetze nur darauf gewartet, mir erneut eins auszuwischen, wollte partout keine leere Rikscha vorbeikommen. Also bin ich noch ein Stück am Straßenrand parallel zum Fluss in Richtung Innenstadt gewandert. Die grüßenden Menschen am Straßenrand waren dazu geeignet, meine Stimmung wieder etwas zu heben. Plötzlich passierte das Unerwartete: Murphy hatte ein Einsehen mit mir und schickte mir eine Rikscha. Ich musste noch nicht mal winken, der Fahrer hielt einfach an und begann mit den Worten: “Du musst hier weg. Es ist viel zu gefährlich hier für Dich. Zu dreckig, zu viele Krankheiten.“ Ich war gleich doppelt erstaunt: Wie kommt es, dass ein Rikschafahrer so gut Englisch spricht und: wie kommt es, dass er die Lage auf den ersten Blick schon so gut erfasst hat?? Aber ich wollte mich nicht ganz kampflos in seine Hände begeben. Erst wollte ich einen guten Preis aushandeln. Er wollte für die Strecke bis zu Jinnah Garden, wo ich Ambr kennen gelernt habe, doch glatt 150 Rupies haben! (Wohlgemerkt etwa 2 Euro) Das ist ja Wucher, dachte ich. Nachdem mir Nasim erklärt hat, ich müsse das Geld hier mit anderen Maßstäben messen und vorgeschlagen hat, ich solle 1 Rupie wie 1 Dollar betrachten, habe ich ein ganz anderes Verhältnis zum Geld. Ich habe dem Fahrer erstmal gesagt, dass ich diese Strecke schon für 80 Rupies (=Dollar) gefahren bin, wollte der doch glatt verhandeln. Doch ich blieb hart und so hat er mich dann für 80 Rupie-Dollar in den Park gefahren. Dazu gab es in einer Art Komplett-Paket eine kurze Einführung in die Sehenswürdigkeiten der Stadt soweit wir an ihnen vorbei gefahren sind, einen Kurzabriss seines Lebenslaufes und eine Art Auflistung der Krankheiten, die ich mit in dieser Ecke der Stadt leicht hätte holen können (Soweit ich das bis jetzt, zwei Wochen später, beurteilen kann, habe ich alle Krankheiten da gelassen). Als ich ihm dann zum Abschied 20 Rupies Trinkgeld gegeben habe wäre er mir fast vor Empörung an die Gurgel gegangen. Erst handel ich den Preis so dermaßen runter um anschließend ein saftiges Trinkgeld zu geben. Ich muss zugeben, dass der Umgang mit meinem schottischen Projekt Manager mich sehr prägt… Zurück im Jinnah Garden habe ich dann festgestellt, dass dieser Park bei Weitem größer ist, als ich es bislang vermutet hatte. Dann habe ich mir eine neue Rikscha gesucht und bin zu Mc Donald’s am Fortress Stadium gefahren, um dort noch ein Mc Arabia-Menü einzufahren. Dort habe ich dann wieder auf die Schnelle einen Mann kennen gelernt. Allerdings war ich diesmal erstaunt, dass er Deutsch spricht. Er war ebenso erstaunt, dass ich tatsächlich Deutscher bin und so erzählte er mir, dass er einen Pizza-Service in Münster betreibt und hier in Lahore seine Familie besucht. Drinnen im Mc Donald’s habe ich dann Atif getroffen, der wieder Dienst hatte. Er hat sich dann einen Moment zu mir an den Tisch gesetzt und wir haben ein Bisschen geplaudert. Es ist immer gut, einen Verbündeten bei Mc Donald’s zu haben… Danach ab nach Hause, weil Mr. Walker, Herr Götz und ich zum Bowling gehen wollten. Leider fiel das dann aus, weil die Herrschaften sich den Tag über zu sehr verausgabt hatten und nun müde waren. Das passte mir schon ganz gut, denn auch ich war nicht mehr der Frischesten einer, um es mal zu umschreiben… Also las ich noch eine halbe Stunde in meinem (sorry: Frau Lehmann’s) Buch „Das Parfüm“ und schon bald fielen mir die Augen zu. Als ich wieder aufwachte fing direkt schon die nächste Woche an. Wie bereits erwähnt sind Wochentage, jedenfalls was den Unterhaltungswert anbelangt, nicht ganz so wertvoll wie Sonntage. Deshalb, liebe Leser, blenden wir an dieser Stelle unseren Werbeblock ein:

 Bei dieser Gelegenheit möchte ich kurz zwei Dinge loswerden. Erstens habe ich es endlich geschafft, mir eine Digitalkamera zuzulegen (Sony DSC W1). Ein echtes Superteil und mein neuer ständiger Begleiter. Nur häufiger verwenden könnte ich das Ding… Aber dabei habe ich es fast immer! Und zum zweiten möchte ich für alle Eilige, die schon jetzt, also vor meiner Rückkehr nach Deutschland, erste Bilder von Pakistan sehen möchten, auf mein Fotoalbum im Internet verweisen. Unter der URL www.fotos.web.de/Sven.Homscheid kann jeder, der möchte, einen Blick auf ein stetig wachsendes Sammelsurium von meinen Pakistan Fotos werfen. Am besten wählt man dabei die Ansichtsform „Diashow“, weil man dann direkt die Bildnamen unter den Bildern sehen kann. Manchmal erklären die das Motiv.

 Ok, nachdem nun die Woche ohne weitere Vorkommnisse abgelaufen ist, stand nun der nächste Sonntag vor der Tür. Der wurde wieder sehr ereignisreich, denn es waren gleich zwei Top-Events geplant: Mit Ambr mittags durch die Stadt ziehen und abends das erste, von mir geplante und sorgfältig vorbereitete Barbecue.

 Ja, ich habe es geschafft, Ambr anzurufen. Eigentlich habe ich schon am Sonntag zuvor versucht ihn zu erreichen, um mit ihm den Fluss in Augenschein zu nehmen, allerdings war er überraschenderweise arbeiten. Als er mich Montag zurückgerufen hat, haben wir dann für diesen Sonntag ein Date zum Sightseeing vereinbart. Darauf habe ich mich schon die ganze Woche gefreut, war allerdings auch etwas skeptisch, ob es dann mit meiner Zeitplanung für das Barbecue noch hinhauen würde. Naja, wenn ich so überlege, dann war die Woche doch gar nicht so ereignislos, wie ich sagte. Denn immerhin habe ich einen Barbecue-Grill organisiert. Auch hier mache man sich bitte von der Vorstellung frei, dass ein Barbecue-Grill rund, aus Edelstahl oder gar in einem Set zusammen mit einem Rost zu haben sei. Schwierigkeit Nummer eins war, unserem Koch und Hausmädchen mit Schnäutzer Mumtaz klar zu machen, was ein Grill ist. Ich erkannte dann auch ganz schnell, warum er nicht wusste, was das ist. Er hatte einfach noch nie in seinem Leben einen Grill gesehen. Also war Improvisation, sozusagen „Mac Guyvern“ angesagt. Ich fuhr also Dienstag mit Mumtaz nach dem Dinner, also so gegen 21:30 los, um einen Grill zu organisieren. Nachdem er verstanden hatte, was ich will, hat er sofort gesagt „No Problem, Sööör“ und ich bin davon ausgegangen, dass er weiß wo es Grills gibt. Weiß er wahrscheinlich auch, nur machen die Bazare, auf denen wir uns dann bis fast 23:00 rumgetrieben haben, schon viel früher zu. Frechheit, einfach schon um 21:00 zuzumachen! (Man gewöhnt sich sehr schnell an die Öffnungszeiten!) Also habe ich dann irgendwann zu meinem Koch und Hausmädchen mit Schnäutzer, jetzt auch Fahrer Mumtaz gesagt: „Mumtaz,“ „Yes Söööör“ „Guesthouse please“ „Ok, Sööör“ Am nächsten Tag bin ich dann mittags mit Nasim, unserem wahrscheinlich fähigsten Mann vor Ort, aufgebrochen, um einen Grill zu organisieren. Wir sind auf dem gleichen Bazar gewesen wie nachts zuvor mit Mumtaz. Er lag also gar nicht so falsch. Wir mussten auch etwas suchen, aber Nasim ist um einiges kleverer als Mumti, denn er hat direkt nach einem passenden Geschäft gefragt. Eine Sache, die wir Männer im Allgemeinen nur sehr ungerne machen, die aber sehr wirkungsvoll ist: nach dem Weg fragen. Und tatsächlich wurde uns ein Eisenwarenhändler empfohlen. Wir hielten vor der Tür an und ich sah auf weiter Flur keinen einzigen Grill, noch nicht einmal etwas Grillähnliches. Ich dachte schon daran, einen alten Topf zu nehmen, Löcher rein zu hauen und ein Stück alten Zaun als Rost darüber zu legen und das Gelächter der Kollegen über mich ergehen zu lassen. Aber Nasim ist nicht nur ein guter Fahrer, netter und informativer Gesprächspartner, ruhender Pol und Freundlichkeit in Person sondern auch ein guter Dolmetscher. Er fragte kurz nach und schon wurde ich in einen Hinterraum geführt, wo ich erst auch keinen Grill ausmachen konnte. Erst, also der junge Verkäufer zielstrebig auf einen Stapel mit länglichen Schalen zuging, die hier zum grillen von Fleischspießen verwendet werden, hatte ich eine Ahnung: ich würde meine Suche hier noch nicht abschließen können. Die Schalen sahen alle sehr stark gebraucht aus, aber ich hatte keine Hoffnung, einen besseren Grill zu finden. Also habe ich mir die beste Schale geben lassen und habe Nasim dann nach einem Rost fragen lassen. Der Blick des jungen Händlers verriet mir alles: Es gab hier keinen Rost. Sollte ich tatsächlich zum Knast fahren müssen und einen Satz Gitterstäbe „borgen“ müssen? Nein, Nasim der Weise hatte die Lösung. Wir sind also zu einem Schlosser gefahren und haben einen Rost in Auftrag gegeben. Beim ersten habe ich eine schicke Zeichnung auf ein Papier gemacht, damit auch ja klar war, was ich haben will. Der winkte dann direkt ab. Wie Nasim mir dann später erklärte weil er so kleine Aufträge nicht annahm. Meine Vermutung ist eher, dass er nicht gerafft hat, was ich wollte. Der zweite Schlosser war dann willens, mir meinen ersehnten Rost zusammen zu braten. Ich zeigte ihm also meine Zeichnung und Nasim redete mehr als zehn Minuten auf ihn ein, um ihm zu erklären, was er machen soll. Zwischendurch wurde ich dann nach Details gefragt wie z.B. Stabstärke (stand auf der Skizze), Länge des Rostes (stand auf der Skizze), Breite des Rostes (stand auf der Skizze) und Stababstand (na ratet mal). Nachdem wir einen Preis von 500 Rupie-Dollar ausgehandelt hatten (etwa 6,20 Euro) haben wir die Schlosser, mittlerweile vier an der Zahl, alleine gelassen und sind los, um Holzkohle von einem echten Köhler zu kaufen. Preis für 5 kg Kohle: 75 Rupies (etwa 1 Euro) – fair. Dann sind wir noch Rindfleisch kaufen gefahren. Lammkeule und Lammrippchen hatte ich in der Nacht zuvor schon mit Mumtaz besorgt. Dann fragte ich Nasim, ob der Metaller was gesagt hatte, wann der Rost fertig sei. Er antwortete, dass er schon fast fertig wäre und dass wir jetzt schon hinfahren könnten. Es war eine Stunde vergangen, seit wir dem Schlosser erklärt hatten, was er zu tun habe. Ich war also sehr skeptisch. Als wir ankamen war immerhin schon der Tragrahmen, bestehend aus vier Stäben, zusammengebraten und die einzelnen Stäbe abgelängt. Allerdings lag der Rahmen genau auf den Außenkanten des Grills auf und ich musste dem Schlosser, der wohl gerade zum Oberschlosser befördert worden war, weil er meine Skizze lesen zu können behauptete, erklären, dass der Rahmen kleiner sein müsse, damit der Rost nicht vom Gestell rutschen kann. Etwas widerwillig hat er eingesehen, dass es falsch war, ohne wohl begriffen zu haben, warum. Er nahm also den Rahmen, der das Produkt einer ganzen Stunde Arbeit war und schlug ihn leicht mit einer Ecke auf dem Boden auf. Zack, das Ding zerfiel in vier Stäbe. Ich sah das gleiche schon vor meinem inneren Auge am Sonntag vor Publikum passieren… Nasim erklärte den Herrschaften dann noch mal in Urdu was wie und wozu zu machen sei und nachdem sie uns zugesichert hatten, dass der Rost am nächsten Tag fertig sei sind wir dann abgezogen. Ich habe Nasim dann am nächsten Tag gesagt, er solle alleine den Rost abholen, da ich viel zu tun hatte. Er ist also um sechs Uhr abends mit der ersten Tour meiner Kollegen aus dem Office in Richtung Guesthouse los, hat sie im Guesthouse abgesetzt und ist dann zur Schlosserei gefahren. Als ich um acht im Guesthouse eintraf war Nasim immer noch nicht da. War das ein gutes Zeichen? Ich hatte Nasim noch gesagt, dass er die Enden der Stahlstäbe abrunden lassen sollte, gerade so, dass man sich nicht verletzen würde. Ich ahnte Schlimmes… Um halb Neun kam Nasim mitsamt dem neuen, individuell für mich hergestellten Rost an. Er sah sehr gut aus, verglichen mit dem, was ich erwartet hatte. Er hatte nun gar keine scharfkantigen Enden, da er nun aus einem einzigen, schlangenlinig gebogenen Rundstahl bestand, der auf das zuvor erwähnte Gestell geschweißt war. Er hatte sogar die beiden Griffe, die ich bestellt hatte. Sie waren zwar auf der Oberseite statt auf der Unterseite angeschweißt, aber der Rost würde trotzdem seine Dienste tun, da war ich mir sicher. Nasim war vermutlich deshalb so lange unterwegs, weil er den Rost noch mal neu hatte machen lassen. Er hat nichts dazu gesagt, aber ich denke, dass diese Vermutung nicht von weit her ist…

  Nachdem ich im Laufe der Woche dann noch alle Zutaten für einen Nudel- und einen Kartoffelsalat gekauft sowie das Rezept des schwäbischen Kartoffelsalates von Harry in Deutschland in Erfahrung gebracht hatte, war alles für das Barbecue bereit. Fast, denn zu einem richtigen Barbecue gehört natürlich auch Bier. Bier? Hier in Pakistan? Haha, wahrscheinlich aus der lokalen Brauerei, was?? Ja, natürlich. Man glaubt es kaum aber in Pakistan gibt es eine Brauerei, die richtiges Bier braut. Murry’s schmeckt ein Bisschen wie San Miguel aus Spanien. Nur einen gravierenden Unterschied gibt es: Es hat 5,5 +- 2,0 % Alkohol. Tatsächlich, es steht auf der Flasche „5,5 +-2,0%“. „Pakistan Style“ sagen wir dazu. Meine Kollegen Alexis und Christian waren so gut und haben dieses Bier erstanden. Man kann das nicht in einem normalen Getränkemarkt kaufen, sondern muss es wie auf einem Drogenmarkt auf dem Parkplatz eines großen Hotels in Lahore kaufen. Genau wie Drogen. Und eigentlich braucht man eine amtliche Bescheinigung, dass man Alkoholiker ist (Liquor Licence), damit es legal ist, aber die Jungs haben das so gedreht…

 Es wurde also ein wirklich schöner Sonntagabend mit einem herrlichen Barbecue. Mumtaz ist richtig das Herz aufgegangen als er hinter dem Grill stand und die von mir eingelegten Steaks, die Rippchen und die Keule zubereitet hat. Alles war perfekt. Und als die erste Ladung Fleisch dann auf den Tisch kam verschwand Mumtaz kurz drinnen in der Küche, um dann kurz später mit einer Platte Reis aufzutauchen! Wir haben uns alle angesehen und sofort losgelacht. Für Mumtaz ist klar, dass es kein Essen ohne Reis gibt. Basta! Nachdem wir das Essen und die Moskitos wiederum uns zum größten Teil aufgegessen hatten, das Bier leer und wir alle reichlich Müde waren gingen wir dann so gegen elf Uhr ins Bettchen. Es war ein schöner Tag und ich habe viel Lob für meine Bemühungen um das Barbecue eingeheimst. Fotos von unserer LBS (Lahore Barbecue Society) gibt es in Kürze im Internet.

 Wer den Newsletter aufmerksam gelesen hat, dem ist aufgefallen, dass ich einen Teil des Tages ausgelassen habe: das Treffen mit Ambr. Ich war gerade so gut im Barbecue-Erzählfluss, dass ich die Sightseeing-Tour mit Ambr jetzt nachschiebe. Die war aber schon am Nachmittag vor dem Barbecue. Wir hatten uns für 10 Uhr morgens am Mc Donald’s am Fortress Stadium verabredet. Vorher habe ich allerdings noch die Steaks mariniert, damit sie bis zum Abend auch schön durchgezogen waren. Dank einer Abkürzung bin ich dann nur 10 statt der obligatorischen 15 Minuten zu spät gekommen. Ambr hatte schon 20 Minuten gewartet. Jetzt kannte mich Ambr richtig. Ich war erstaunt, dass er ganz ohne familiären Anhang erschienen war. Er sagte mir dann, dass er ein paar seiner Cousins mitnehmen wollte, dass sie aber meinten, wir sollen mal alleine losziehen, damit wir uns besser kennen lernen könnten. Wunderbar. Die erste Frage, die sich stellte, war: Wie kommen wir zum Fort? Da wollten wir mit dem Sightseeing anfangen. Ich wollte eine Rikscha nehmen, doch Ambr schlug den Bus vor. Da ich sehr neugierig war stimmte ich also seinem Vorschlag zu. Der Bus war übervoll und wie üblich fuhr der Bus schon an, bevor der Letzte richtig im Bus war. Die Türen waren also noch auf und der Letzte hing mit einem Arm am Geländer fast freischwebend, und wurde von den anderen Passagieren in den anfahrenden Bus gezogen. Der Letzte war in diesem Fall ich. Ich fühlte mich direkt wie ein Pakistani. Drinnen war es hauteng. Zwar suchte ich den Kontakt zu den Einheimischen, aber so hatte ich mir das eigentlich nicht vorgestellt… Ambr zahlte die Busfahrt für uns: 10 Rupie-Dollar – 13 Cent. Dafür gab es auch zwei Papier-Tickets, die in Deutschland schon den Fahrpreis durch ihre Druckkosten aufgefressen hätten. Damit fuhren wir dann bis zu einer Haltestelle, an der wir dann umsteigen mussten. Auf die Frage, ob Ambr wusste, welchen Bus wir nun zu nehmen hätten, sagte er nur „Do you want to drink something?“ Ich verneinte dankend. Übrigens trug Ambr den ganzen Tag über meinen Rucksack. Es war schweineheiß, 35°C, schätze ich, vielleicht auch mehr. Der nächste Bus wäre in Deutschland als 6-Sitzer durchgegangen. Ein Daihatsu-Transporter mit Sitzbänken aus Holz, die an der Außenwandung des Innenraumes befestigt waren. Wir waren zu 15-t in diesem Vehikel und zahlten wieder 10 Rupie-Dollar. Hier stank es jedoch furchtbar nach Urin. Ich glaube, einer meiner Sitznachbarn war nicht ganz dicht…

 Amber und ich besuchten, wie gewöhnliche Touristen, das Lahore Fort, das eine Festung aus dem 12. Jahrhundert ist. Danach gingen wir in die große Badshai-Moschee, deren Innenhof man von Coco’s Den aus sehen kann (und anders herum auch). Draußen muss man die Schuhe bei einem Schuhwärter abgeben. Der bekommt dafür dann ein paar Rupies. Ausländer zahlen übrigens in Touristenstätten in Lahore immer einen erheblich höheren Preis, der aber immer noch lächerlich gering ist. Ambr hat mich allerdings beim Schuhhüter als Pakistani verkauft und wieder ein paar Rupies gut gemacht. Da ich mich schon fast als Pakistani fühle und sogar schon ein paar Worte Urdu spreche empfand ich das auch gar nicht mal so arg als Lüge.

 Auf dem Sandsteinboden des Innenhofes hätte ich mir dann fast die Sohlen verbrannt, weil ich vom Leintuchpfad in der Hofmitte abgewichen bin. Mir leuchtete auch sofort ein, wofür er gut war. Ambr hatte hingegen kaum Probleme mit dem heißen Boden. Er hat dickere Haut unter den Füßen als ich. Vom Inneren der Moschee habe ich auch versucht ein Foto zu machen. Es ist aber nicht so gut geworden, weil ich aus der Deckung raus geknipst habe. Ich wollte die Betenden nicht stören.

 Nach der Moschee haben wir dann noch den Turm im Iqbal-Park bestiegen: Pier of Lahore, ihr erinnert euch? Davon habe ich dann auch einige Fotos und sogar ein paar Video-Strips. Eigentlich wollte ich da ja nicht rauf, aber Ambr hatte wieder irgendwelche Mädels gesehen, hinter denen er her wollte, und die wollten halt grade auf den Turm. Also hat er in Windeseile Karten gekauft und wir sind den Mädels im wahrsten Sinne des Wortes nachgestiegen, die Stufen nämlich. Dabei muss ich sagen, dass Ambr da weit mehr Motivation hatte als ich, denn ich hatte wirklich keine Augen für irgendwelche pakistanischen Mädels. So viel Pakistani bin ich dann doch nicht.

 Nachdem wir uns dann oben satt gesehen hatten (Ambr an den Mädels und ich an dem Blick über Lahore) sind wir dann die endlosen Stufen des Turmes wieder herabgestiegen und haben eine Rikscha bestiegen. Ich habe Ambr davon überzeugen können, dass erstens ich die Rikscha zahle und dass es zweitens schneller geht als mit dem Bus. Er war recht schnell überzeugt und wir sind dann zurück zum Fortress Stadium, wo wir uns dann verabschiedeten. Pünktlich um Halb drei war ich im Guesthouse, um die weiteren Vorbereitungen für’s Barbecue zu treffen (Salate machen, Fleisch würzen etc.). Über das abendliche Barbecue habe ich bereits berichtet.

 So, ihr Lieben. Ich habe mal wieder viele Impressionen in Text gefasst. Soweit es ging habe ich versucht, auch einige als Bilder festzuhalten. Es lohnt sich also, in den nächsten Tagen mal auf der Internetseite nachzusehen. Nicht vergessen: www.fotos.web.de/Sven.Homscheid

 Bis zum nächsten Newsletter bzw. bis zu eurer nächsten Antwort wünsche ich euch alles Gute, viel Sonne und wenn ihr nur halb so viel Spaß habt wie ich, dann schlaft ihr abends genauso zufrieden ein wie ich.

 

 Viele Grüße und waaleikum salaam

 Muhammad Sven bin Jon bin Homscheid


 

 

Lahore Newsletter vi, April, 21st.

  

Hallo liebe Newsletterleser,

 hier kommt wieder ein neuer Erfahrungsbericht aus dem mittlerweise sonnig-staubig-heißen Lahore tippfrisch auf euren Bildschirm / Papier. Wieder kann ich euch in die Welt von 1000 und einer Nacht entführen. Übrigens weiß ich jetzt, woher dieser Begriff kommt. Das hängt auch eng mit der Bezeichnung „Morgenland“ zusammen. Es wird hier nämlich sehr früh dunkel. Selbst im Hochsommer scheint die Sonne nicht länger als bis halb acht. Dafür habe ich mich seit einiger Zeit gewundert, warum es in meinem Zimmer morgens um sieben, wenn mein Wecker das erste Mal klingelt, schon so schweineheiß ist. Heiße Träume? Keineswegs. Es ist nur so, dass der heiße Planet schon ab ca. 4:30 bei mir ins Zimmer will. Das ist mir per Zufall aufgefallen. Normalerweise bin ich nicht so früh wach. Ok, 5:30 habe ich schon geschafft, allerdings nur, weil der für unser Viertel zuständige Muhezin wohl einen Extraschluck Stimmöl genommen hatte und mich mit seiner süßlich trällernden Ballaleika-Stimme zum Morgengebet eingeladen hat. Ich habe dankend abgelehnt. Aber ich war schon etwas verwundert, dass es schon so früh hell ist. Letzte Woche dann hat der Moskito-Clan in meinem Zimmer meine Hand als Familientankstelle benutzt und mir solchen Juckreiz zugeführt, dass ich erstmal aufgewacht bin und Rache genommen habe. Seitdem habe ich ein paar unschöne Relikte an meiner Wand. Ich dachte dann, ich müsste bald schon aufstehen und hatte Zweifel, ob ich den Tag überleben würde, weil ich noch so müde war. Um so erleichterter war ich dann, als ich feststellte, dass es erst gegen Fünf war und ich noch gut zwei Stunden schlummern konnte. Der Tag wurde gut. Ich weiß aber nicht mehr genau, was war. Übrigens geht mein Autan-Vorrat zur neige. Wer also einem armen, zerstochenen Kerl in Pakistan eine Freude machen will: Eine Flasche extrastarkes Autan per Post wäre wundervoll… Gerade im Hinblick auf unsere zukünftigen Barbecues. Samstag in einer Woche könnte es wieder soweit sein. Dann ist der dämliche Stänkerer aus Serbien endlich wieder weg. Übrigens kann ich einen Teilerfolg verbuchen: Branko spricht seit einer Woche nicht mehr mit mir. Der Typ ist echt eine Karrikatur seiner selbst. Erst jammert er die ganze Zeit rum, dass alles zu unhygienisch ist und verbessert alles und dann ist er der Erste, der die Scheißerei bekommt! Na kein Wunder, wenn sein Magen die heimischen Bakterien vorher noch nicht mal kennen lernen durfte. Und jetzt schiebt er alles darauf, dass die Pakistani ja keine Ahnung haben, wie man nicht-scharfe Gerichte kocht. Letzte Woche hat er bei Pizza-Hut seine Pizza zurückgegeben, weil sie ihm zu scharf war. Für hiesige Verhältnisse ist sie völlig ok gewesen. Für unsere etwas gewürzt und für Mimosen halt zu scharf. Ist weiter auch nicht tragisch, wenn man sie umgehen lässt, aber der Kerl hat in dem Restaurant so ein Theater gemacht dass es geradezu peinlich war, ihn auch nur im Entferntesten zu kennen. Als es tags drauf zu Mc Donald’s ging und ich im Office geblieben bin, weil Branko mitgefahren ist, hat er mir das wohl so übel genommen, dass er jetzt nicht mehr mit mir spricht. Eigentlich habe ich ohnehin nix mit ihm zu besprechen, jedoch finde ich dieses Rumgealber für einen Mann, den ich auf Anfang Vierzig schätze, drei bis vier Spuren zu kindisch. Noch ein paar Tage und ich werde hoffentlich nie wieder was von ihm hören oder sehen.

 So, genug jetzt von unserem Suppenkasper. Obwohl er viel Stoff zu Erzählen böte. Vielleicht schreibe ich mal einen Newsletter-Special nur über den Nörgel-Serben. Ich will lieber mal von meinen Sonntagsausflügen erzählen. Zuerst der von letzter Woche: Ich bin morgens um neun ins Auto gestiegen und im Büro wieder ausgestiegen. Dort bin ich dann um sieben wieder ins Auto gestiegen und im Guesthouse wieder ausgestiegen. Fertig.

 Jetzt zum Sonntag vorletzter Woche. Das war wiederum ein sehr schöner Sonntag. Ich habe lange geschlafen, so bis neun, bin dann Laufen gegangen und habe Rafiq im Park getroffen. Ich war etwas erstaunt, denn er sprach immer noch kein fließendes Englisch… Dafür arbeite ich aber fleißig an meinem Urdu. Einen Tee mit zwei Löffeln Zucker sowie eine Tasse heißes Wasser für den zweiten Aufguss kann ich schon bestellen, sehr zur Freude meiner teebringenden Kollegen. Die helfen mir gerne auch zum vierten Mal aus der Klemme, wenn mir das Wort für „Zucker“ nicht mehr einfällt. Nachdem ich also mit Rafiq eine halbstündige heftige Diskussion über Weltpolitik hatte bin ich dann wieder ins Guesthouse zum Duschen und Essen. Mjam, Mumtaz hat mich wieder verwöhnt. Es gab sogar Spiegelei. Als ich vom Laufen den Wasserspender ansteuerte fragte er seine obligatorische Frage, die ich üblicherweise mit „no, thank you“ ablehne: „Anything tee, Sööör, coffe, toast, egg…“ Egg??? Das war neu! „ÄÄh, egg?“ „Yes, Sör, egg. From chicken.“ „Oooh yeah! Egg is what I need now!” Ich erklärte ihm, dass ich nur noch kurz unter die Dusche hüpfen würde und dann für’s Serviertbekommen jeglicher Eier zur Verfügung stehen würde. „Ok, Sööör.“ Smiling Mumtaz. Als ich nach einer halben Stunde aus der Dusche kam war es eher ein vanished Mumtaz. Er war verschwunden und nicht mehr aufzutreiben. In der Küche stand nur eine Pfanne mit Öl auf dem Herd. „Ok, selbst ist der Mann!“ Erste Handlung: das Baumwollöl gegen Olivenöl tauschen. Mumtaz verwendet zum Kochen üblicherweise ein Öl, das zu Teilen aus Baumwolle, Sonnenblumen und irgend einem anderen Fusel besteht. Es das ist unheimlich billig und riecht schon gegen den Wind erbärmlich, weshalb ich mich aus geschmacksesthetischen Gründen spontan für Olivenöl entschieden habe, was noch vom Nudelsalat für’s Barbecue übrig war. Ohne Mumtaz’ Gesellschaft war das Frühstück nur noch halb so aufregend und nicht weiter erwähnenswert.

 Gegen 13:00 hatte ich mich mit Alexis, meinem Kollegen, verabredet, um in die Altstadt zu fahren. Er wollte sich morgens das Fort ansehen und die Badshai-Moschee. Als er dann um eins wieder kam war er sehr abgekämpft und schlug vor, ins Avari-Hotel zu fahren und sich an den Pool zu legen. Wow, was für eine geile Idee. Genau danach stand mir der Sinn. Lieber nassen Pool als staubige Stadt. Christian ließ sich auch sehr schnell begeistern und so sind wir dann zu dritt ins Avari-Hotel, um den Pool mit unseren schattengebleichten Körpern optisch aufzuwerten. Mein Anteil daran war sehr erheblich. Ich vermute, dass selbst ein toter Pakistani nicht so bleich werden kann wie mein Körper. Das muss sich auch der Poolkellner gedacht haben, als er uns ansteuerte. Ich habe noch auf das Foto gewartet, das von mir gemacht würde, um es als „Foto vom bleichsten Gast im Avari“ im Voyer aufzuhängen. Es blieb aus. Stattdessen habe ich mich das erste Mal in meinem Leben am Pool bedienen lassen. Was für ein Leben, sage ich euch. Ich habe es genossen. Leider viel zu kurz, denn um drei mussten wir schon weiter. Wir wollten die indische Grenze besuchen. Zufällig lag die pakistanische auch grade in der Gegend, so dass wir die gleich mitbesichtigen konnten. Grenze besichtigen?? So’n Humbug. Als ob das was Besonderes wäre. Nun, dazu eine kurze Vorgeschichte. Seit 1947 ist Pakistan eine autonome islamische Republik. Vorher war es ein Teil von Indien, das ja bekanntermaßen überwiegend hinduistisch ist. Die Trennung von Indien verlief nicht ganz blutfrei und anschließend begann ein großes Völkersortieren: Hindus rechts, Moslems links. Eigentlich ganz einfach. Seither knistert es aber noch in allen Ecken. So ist man sich schon seit Längerem uneinig, zu wem die Region Kaschmir (Azad-e-Kashmir) gehören soll. Diese Gegend ist zwar relativ dünn besiedelt und hat kaum Rohstoffe, aber es kommt eine ganze Menge Wasser aus dieser Gegend. Deshalb ist Kaschmir sehr begehrt und es herrscht bis heute ein tiefer Konflikt zwischen beiden Parteien. Dieser und andere Konflikte spiegeln sich in theatralischer Form in der sogenannten Border-Closing-Ceremony wieder. Das ist der Vorgang, bei dem der Grenzübergang zwischen Pakistan und Indien formell geschlossen und die Flaggen abgeflaggt werden. Eigentlich ist das für die Füße, weil der Grenzübergang zur Zeit eh nicht geöffnet ist. Aber es ist ein riesen Affentanz, der gerade am Wochenende viele Touristen anzieht. Da die Grenze gerade mal 25 km von unseren Guesthouse entfernt ist haben wir beschlossen, uns das mal anzusehen. Wir sind mit zwei Autos los gefahren, weil wir zu viert waren: Alexis und ich sowie Mr. Walker und seine Frau, die gerade zu Besuch da war. Die Fahrt bis zur Grenze war schon ein Erlebnis für sich. Es war das erste Mal sein meiner Ankunft, dass ich Lahore überhaupt verlassen hatte. Es bot sich mir ein völlig anderes Pakistan, jedenfalls soweit ich das aus dem fahrenden Auto beurteilen konnte. Es schien mir ein viel ruhigeres, gemächlicheres, weniger belebtes Pakistan zu sein als das, was ich aus Lahore kenne. Grüne Wiesen und Felder wie bei uns zeigten sich, allerdings mit dem Unterschied, dass diese hier durch Bewässerung künstlich grün gehalten wurden. Soweit es mir möglich war habe ich aus dem Auto Fotos zur Dokumentation gemacht. Und es sind erstaunlicherweise sehr viele davon was geworden. Ich hatte nicht damit gerechnet, denn Nasim bretterte uns mit mehr als hundert Sachen über eine Piste, die man als gescheiten Feldweg hätte verkaufen können.

 Vor der Grenze angekommen wurde dann das erste Mal das Fenster runter gekurbelt und eine Art Parkwächter kassierte 10 Rupies für’s Nichtstun. Ein paar Meter weiter verließen wir dann unsere Motorkutsche und bewegten uns auf Schuhsters Rappen das nächste Stück zur nächsten Bude, wo wir wieder um 10 Rupies erleichtert wurden, diesmal von einem Typ in einem Bretterverschlag. Nach entrichtetem Weg(-elagerer-)zoll durften wir dann das Metallgatter passieren. Nach etwa 200 m kamen wir an ein großes Steintor. Vor diesem Tor gab es wiederum eine Absperrung, an der man sich entscheiden musste, entweder links oder rechts vorbei zu gehen. Noch ehe ich mich richtig entschieden hatte war die Entscheidung auch schon gefällt: Männer rechts, Frauen links. Man(n) ging also rechst am Gatter vorbei und ich wollte schon den ganzen Pakistani hinterher gehen, die eine Treppe auf den Turm herauf nahmen. Aber schon wurde ich von einer freundlichen, lustig kostümierten Wache aufgefordert, doch in der Mitte durch den Torbogen und an der Absperrung vorbei zu gehen. Wir folgten also seiner freundlichen Einladung und kamen so auf eine Tribüne, die wohl so etwas wie die Mittel-VIP-Tribüne war. Das ganze pakistanische „Fußvolk“ saß auf den Rängen, während wir einen Sperrsitz in zweiter Reihe bekamen, direkt am Geschehen. Die wirklichen VIPs saßen etwas außerhalb auf Stühlen. Es war wirklich faszinierend. Wir saßen nun auf einer kleinen Tribüne längs zur Straße. Uns gegenüber war das weibliche Tribünen-Pendant, wo wir auch Mrs. Walker wiederfanden. Links von uns war nun dieser riesige Torbogen, auf dem links und rechts die Tribünen für Einheimische waren. In Blickrichtung links die Männer, farblich eher in einem Grauton gehalten, rechtsseitig die Frauen, farblich eher wie ein Wasserfarbkasten gehalten. Man konnte dort alles an Farben finden, was man sich nur denken kann. Bilder sind in Kürze wieder im Internet zu sehen (www.fotos.web.de/Sven .Homscheid). Rechts von uns waren die Objekte der Begierde zu sehen: Nein, die Frauen waren links! Ich meine die beiden schweren Eisentore und die Flaggen. Die beiden Tore waren zu. Zu spät?? Nein, die Flaggen waren noch gehisst. Es dauerte eine ganze Weile, bis sich etwas tat. Flag lowering ist kurz vor Sonnenuntergang und wir waren recht früh angekommen, so dass wir eine Stunde warten mussten. In er Zwischenzeit lief eine Art spartanisches Rahmenprogramm: Ein alter Mann in pakistan-grünem Leibchen lief mit einer pakistanischen Flagge zwischen Tor und Torbogen hin und her worauf die Pakistani in lauten Jubel ausbrachen. Dem Lärm von der indischen Seite zufolge lief dort ein ganz ähnliches Programm ab. Nachdem ein zweiter, jüngerer Einpeitscher auflief wurden ein paar Schlachtrufe eingeübt, die ich euch natürlich mit meinem nunmehr fließenden Urdu wörtlich übersetzen könnte. Aber da das eh keiner wissen will verzichte ich an dieser Stelle ausnahmsweise mal darauf. Nach endlosem Warten ging es dann endlich los. Über dem Torbogen traten ein paar Soldaten hervor, von denen einer mit seeeeehr laaaangen Brüllern die Zeremonie einläutete. Promt kam von der indischen Seite die nicht weniger laaaange Antwort. Daraufhin setzten sich unter dem Torbogen ein Paar andere Soldaten in einem Marschiertempo in Bewegung, das man gut und gerne als „Sauseschritt“ bezeichnen könnte. Jedenfalls bis zu dem Punkt, an dem dieser Marschstiel sportlich wird: Vor jedem Stehenbleiben gilt es nämlich, das Bein (immer nur eins auf einmal) bis fast an die Stirn zu heben. Und das ganze zweimal. Zerrungen sind da für nicht-Aufgewärmte vorprogrammiert. Dieser Schritt war wahrscheinlich das theatralischste am ganzen Unterfangen, das von da an auf gleichem Niveau weiter lief. Ein paar Mal liefen Soldaten hin und her, stets mit diesem Mütze-vom-Kopf-Tritt am Ende jedes Weges. Dann irgendwann wurden die Tore geöffnet, man salutierte sich und begann die Flaggen einzuholen. Aber gaaaanz langsam. Die Tücher wurden dann gefaltet und davon getragen und anschließend die Tore mit einer bemerkenswerten Verrenkung geschlossen. Habe glücklicherweise einen Schnappschuss davon gemacht. Danach war das Ganze zuende und die Veranstaltung wurde aufgelöst. Eine Stunde Warten für 10 Minuten Theater, was noch nicht mal eine Pointe hatte.

 Nach diesem Spektakel sind wir dann wieder zurück nach Lahore gefahren, wo Alexis und ich dann am Fortress-Stadium ein paar Einkäufe getan haben. Ich habe mit dort ein Tuch aus Kaschmir-Wolle gekauft. Ein echtes Schick-Tuch. Es hängt jetzt an meiner Wand im Guesthouse und verdeckt die Mückenleichen. Dafür ist es allerdings bei Weitem zu schade, denn es ist schon jetzt mein Lieblingstuch. Und in Deutschland werde ich es bedeutend besser zu nutzen wissen als es an eine Wand zu hängen.

 Nach diesem Wahnsinnsgeschäft haben wir dann in einem american-styled Restaurant dinniert. Dort habe ich mein erstes Steak am Stück seit Langem gegessen. Leider warte ich immer noch auf die Care Pakete von Herrn Grodde, in denen mir Jägerschnitzel versprochen wurde… Wahrscheinlich hat aber unser Fünf-Sterne-Imbiss mittlerweile sowieso schon zu gemacht.

 Daheim im Guesthouse angekommen haben wir dann den Tag noch locker verabschiedet und schon war es wieder Montag.

  Eigentlich müsst ihr die Vorstellung haben, dass es hier völlig super ist und dass es mir hier absolut spitzenklasse gefällt, bei all dem was ich erzähle. Es ist ja nur Gutes oder Interessantes dabei. Das stimmt auch zum größten Teil, aber um zu zeigen, dass es auch hier etwas wie Alltag gibt und um zu verhindern, dass man mich nicht mehr zurück nach Deutschland lässt, möchte ich euch noch kurz vom Anfang dieser Woche berichten. Dummerweise hatte ich mir Ende der letzten Woche eine herrliche Erkältung eingefangen, da die Zeit der Klimaanlagen mich „kalt erwischt hat“. Deshalb war meine Stimmung ohnehin schon sehr gedämpft. Zudem habe ich am Samstag bis 22:30 im Büro Karten erstellt und gedruckt, die meine Kollegen am Sonntag mit zur Dammstelle nehmen wollten. Leider war unser lokaler AutoCAD-Fritze nicht in der Lage, diese Karten in acht Wochen zu erstellen. Also haben wir am Samstag einen Scanner gekauft und ich habe sie in einem Tag gemacht. Denkt nicht, dass ich so gut da drin bin… Es ist eher eine Frage der Verhältnisse. Sonntag habe ich dann meine Arbeit von Samstag gemacht. Montag war dann im Büro absolut tote Hose. Es hat keiner einen Handschlag gemacht und die lokalen Kollegen waren die meiste Zeit nicht an ihrem Platz. In Anbetracht der Tatsache, dass mich der lokale CAD-Zeichner um meinen freien Sonntag gebracht hat war ich also nicht mehr ganz so zum Spaßeln aufgelegt. Und so schob sich eine große, dunkelschwarze Frustwolke über mein Gemüt. Ich war so geladen, dass das Zünden eines Streichholzes mich zum Explodieren gebracht hätte. Und fast wäre dieser dämlich grinsende Zeichner dieses Streichholz gewesen. Ich habe mich nur mit Mühe beherrschen können. Mittlerweile ist meine Erkältung fast verschwunden und die Sonne scheint wieder über meinem Gemüt. Gestern habe ich mich sogar an einem Badminton-Spiel beteiligt. Seit Ende letzter Woche haben wir nämlich auf der Wiese vor unserem Office ein akkurat ausgemessenes Badminton-Feld. Eine Idee der lokalen Kollegen, wahrscheinlich deren beste seither. Und vorher und nachher waren sie nie wieder so lebendig! Kreativ! Engagiert! Sie haben sich bewegt!! Ich habe mein Match gewonnen und der Friede war wiederhergestellt. Man lernt hier, sehr genügsam zu sein…

 Am kommenden Sonntag werde ich wieder ins Avari Hotel fahren und mich an den Pool legen. Ambr wird wieder in der Stadt sein und mich begleiten und wir werden nur relaxen. No Sightseeing, no Walking, no Stress. Oh, was freue ich mich. Und Montag geht es nach Peshawar an die Dammstelle. Inshallah. Von da werde ich wieder neue Berichte, Impressionen und Fotos mitbringen.

 

 Bis dahin alles Gute und viele Grüße

Sven bin immrnoch-a da Homscheid

 

P.s.: Auch ich bin immer wieder aufs Neue erstaunt, wie lange ich scrollen muss, um an den Anfang der e-Mail zu kommen. Wat kann dä Jung labere.


 

Lahore Newsletter vii, May, 7th.

Hallo liebe Freunde der leichten Unterhaltung!

Wieder sind ein paar Wochen ins Land gestrichen, wieder bin ich um einige Erfahrungen reicher und wieder kann ich nicht damit hinterm Berg halten.

Seit dem letzten Newsletter hatten wir hier in Lahore z.B. wieder ein Treffen der LBS, der „Lahore Barbecue Society“. Allerdings mit einer stark veränderten Besetzung. Denn hier in Pakistan wechselt die Besetzung im Projekt ständig. Mr. Walker ist zurzeit in Äthiopien, Alexis ist in Tirana, Christian macht Urlaub auf Mallorca und Branco, na auch egal wo der ist! Geblieben sind Herr Götz, der schon seit etwa zwei Jahren hier die Stellung in seinen drei Projekten hält, und ich, der ich mir kein Ticket für nach anderswo leisten kann und deshalb immer noch hier bin. Dazu gekommen sind Herr Emsmann, der an Mr. Walkers statt die Zügel hier in der Hand hält, und Herr Paul, der Geologe, der eigentlich nur auf der Durchreise von Peshawar nach Deutschland hier war. Ach ja, und natürlich unser Koch und Hausmädchen mit Schnäutzer Mumtaz, der uns auch diesmal den Bauchtanz schuldig geblieben ist. Eigentlich standen die Zeichen für das Barbecue am vergangenen Samstag ganz gut. Ich hatte diesmal sogar ein paar Rezepte für Steak- und Spareripps-Marinaden aus dem Internet herunter geladen und Dancing Girls hatte ich auch bei Mr. Ali bestellt. Auf Bier wollen wir diesmal verzichten, denn wir hatten eine Flasche weißen Rum, die Herr Emsmann sehr geschickt ins Land eingeschmuggelt hatte. Die Planung war also bei weitem professioneller als beim ersten Barbecue und lief auch etwas stressfreier ab. Nun, was ist schon wie das erste Mal? Der Kartoffelsalat, den ich zurecht gemacht habe, hatte ein Quäntchen zu wenig Essig, der Nudelsalat ein Quäntchen zu wenig Geschmack, das Rippchen ein Quäntchen zu viel Fett und obendrein war von den Dancing Girls keine Spur zu sehen. Und irgendwie kam auch keine richtig gute Stimmung auf. Bleibt eigentlich nur für’s nächste Mal zu vermerken, dass sich Sonntagnachmittage potenziell besser für Barbecues eignen als Samstagabende, zumal Samstag hier ein normaler Arbeitstag ist und die Leute abends ko sind.

 So, nachdem ich euch nun von meinem nicht ganz so rosigen Erlebnis am vergangenen Samstag berichtet habe möchte ich euch nun wieder einmal in die Welt von Tausend und einer Nacht entführen. Denn ich war von Montag bis Donnerstag in Peshawar, der Stadt, die auch als das Tor zu Afghanistan bezeichnet wird. Das ist die nächstgelegene Stadt zu unserem Projektgebiet und hier hat auch unser Kunde ein Büro, in dem sich unsere Geologen so richtig verwöhnen lassen.

 Nachdem mein Trip nun schon mehrfach verschoben wurde dachte ich mir, dass die Sterne eigentlich ganz gut stehen würden, um den Plan in die Realität umzusetzen und endlich die Dammstelle mal zu sehen, die ich die ganze Zeit beplane. Die Gelegenheit war günstig. Der Geologe vor Ort sollte ausgetauscht werden und stattdessen ein Kollege aus Südafrika die Herrschaft über die Steinkunde an der Dammstelle übernehmen. Es war vorgesehen, dass beide Geologen sich in Lahore treffen, im Büro so eine Art Übergabe auf dem Papier machen und in Peshawar dann eine Übergabe im Gelände erfolgt. Herr Van der Vlught sollte eigentlich am Montag frühmorgens mit seiner Frau in Lahore landen. Herr Paul war ja schon hier – nicht nur aber sicherlich auch wegen des Barbecues. Ich hatte mich richtig gut auf den Trip vorbereitet: Einen neuen Hut für 250 Rupies und eine neue Outdoor Hose für ursprünglich 350 Rupies, nach spontanem Preisnachlass aber nur noch 300 Rupies. Da die Hose etwas zu lang war wurde sie in einer 10-Minuten-Aktion im Laden noch gekürzt – ohne Aufpreis!! Und eigentlich hatte ich auch gar nicht nach einem Preisnachlass gefragt. Ich hatte eigentlich nur nach dem Preis gefragt und der Verkäufer sagte „350 Rupies“ und nach kurzem Zögern „but for you 300“. Was soll man da noch sagen. Das ist Service am Kunden: hier bekommt man das Veilschen sogar schon abgenommen. In Anbetracht der Tatsache, dass 350 Rupies gerade mal 4 Euro 50 sind und ich den Preis nicht künstlich nach oben treiben wollte habe ich mich dann dazu entschlossen, noch je ein T-Shirt der Marken Diesel und Versace für 495 – also im Endeffekt 400 – Rupies mitzunehmen. Was hatte ich ein schlechtes Gewissen wegen der ganzen Rabatte…

 Ok, das Wichtigste hatte ich also schon in meine Tasche gepackt, bin Montagmorgen also ganz normal aufgestanden und habe geduscht wie immer. Als ich dann die Tür meines Zimmers öffnete stand dann Herr Emsmann davor und verkündete: „Sven, sie fahren heute nicht nach Peshawar. Der Geologe ist nicht angekommen, nur seine Frau.“ Ein Scherz? Nein. Nun, dachte ich, vielleicht versteht die gute Frau ja auch was von Geologie und mein Trip muss trotzdem nicht ausfallen. Dennoch ließ ich die Tasche erstmal im Guesthouse und habe mich auf den Weg ins Büro gemacht. Schon nach kurzer Zeit stellte sich heraus, dass Herr Van der Vlught einen anderen Flieger genommen hatte und direkt nach Peshawar geflogen war. Nun fragt ihr euch sicher, wieso seine Frau nichts davon wusste. Das ist jedenfalls die Frage, die ich mir gestellt habe. Die Antwort ist ganz einfach: Herr Van der Vlught war zuletzt im Sudan und seine Frau daheim in Capetown. Sie wollten sich unterwegs treffen und gemeinsam herfliegen, aber irgendwas ist irrgelaufen bei der Aktion. Ich hatte also die große Ehre, Mrs. Van der Vlught nach Peshawar zu geleiten. Gegen Mittag holte ich sie und meine Tasche zusammen im Guesthouse ab und dann sollte es los nach Peshawar gehen. Mrs. Van der Vlught, oder Mally, ist eine Frau von etwa Mitte Fünfzig, hat graue, kurze Haare und hat eine unübersehbare Statur. Was mir zuerst aufgefallen ist, ist ihr starker Südafrikanischer Akzent, den ich im ersten Moment als übertriebenen englischen Akzent eingestuft hätte. Nun, nach genauerem Hinhören habe ich dann einen Weg gefunden, sie zu verstehen und so verstanden wir uns dann direkt in doppelter Hinsicht ganz gut. Mally erinnert mich ein Wenig an meine Oma, als sie erstens noch jünger war und demzufolge zweitens noch lebte. Bevor es so richtig nach Peshawar losgehen konnte mussten wir allerdings noch einmal kurz zurück ins Büro, um dort einige Pläne abzuholen, die aus diversen Gründen nicht fertig gestellt werden konnten. Ausnahmsweise verzichte ich an dieser Stelle darauf, auf die diversen Gründe näher einzugehen, denn das würde nur alte Wunden aufkratzen…

 Auf dem Weg ins Büro hielten wir dann noch kurz bei Mc Donald’s an um zu Mittag zu essen. Obwohl sie eigentlich nichts essen wollte bestellte Mally ein Mc Arabia-Menu was ihr direkt die ersten Flexibilitätspunkte einbrachte. Danach ging es dann direkt ins Büro, wo es dann das erste Mal so richtig „orientalisch“ wurde. Meine Begleiterin fragte nämlich Herrn Emsmann, ob es nötig sei, dass sie sich schon hier ein langes Gewand anzöge oder ob es reichte, wenn sie sich in Peshawar umziehen würde. Langes Gewand?? Noch länger??? Ok, die Arme waren nicht bedeckt. Wie anzüglich!! Ich habe mir schon ernsthaft überlegt, ob ich solch eine unsittliche Person überhaupt in meinem Auto mitfahren lassen kann… Nachdem sie sich dann die Arme bekleidet hatte habe ich dann noch mal ein Auge zu gedrückt und wir machten uns auf den Weg in den hohen Norden.

Auf der Autobahn fiel mir dann auf, dass ich, abgesehen vom Trip zur indischen Grenze (ich berichtete) Lahore noch nicht verlassen hatte. Und während ich noch so mit mir selbst beschäftigt war veränderte sich meine Mitreisende erneut: ein grünes Kopftuch. Ich hätte nie gedacht, dass ein Kopftuch es vermag, einen Menschen derart zu verändern, ja regelrecht zu verschleiern. Man sollte die Dinger „Schleier“ nennen…

Nach einer Weile nickte ich dann ein und wurde erst wieder wach, als die Straßenunebenheiten sich nicht mehr in meinen Traum einbauen ließen und mich wach rüttelten. Obwohl es erst früher Nachmittag war merkte ich jedoch, dass Nasim, unser Fahrer, müde zu sein schien. Ich bot ihm also an, ihn für eine Weile abzulösen und nach kurzer Zeit saß ich dann auf dem Beifahrersitz und fuhr den Wagen. Häää?? Ach ja, hier ist Linksverkehr. Eine völlig neue Situation. Nach ein paar Minuten hatte ich dann auch raus, dass man mit dem Türgriff nicht schalten kann und schon lief die Sache und nach einer Stunde war es fast wie daheim. Kurz vor Peshawar tauschten Nasim und ich dann wieder die Plätze und gegen 19:30 überschritten wir die Stadtgrenzen von Peshawar, fahrenderweise, über die Grand Trunk Road, die auf der anderen Seite von Peshawar geradewegs nach Afghanistan führt.

Peshawar ist eine orientalische Stadt, wie sie uriger nicht sein könnte. Ok, sauberer könnte sie sein, aber dann wäre sie vielleicht nicht mehr so urig. Als erster großer Unterschied zu Lahore fiel mir auf, dass die Straßen viel weniger beleuchtet sind und alles im Allgemeinen dunkler ist. Erklärung: na klar, unsere Wasserkraftanlage versorgt die Stadt ja auch noch nicht mit Strom. Wenn die erstmal läuft, dann…

Die Grand Trunk Road ist eine sehr weitläufige Straße, an deren beiden Seiten sich ein breiter Streifen unbefestigter Erdboden anschließt, auf dem Autos parken, Buden aufgebaut sind oder wo einfach nur Erde liegt. Dahinter, nur durch den beschriebenen Streifen von der vielbefahrenen Straße entfernt, schließen sich kleinere Geschäfte an: Eisenwarenhändler, Gemüsehändler, Tankstellen (mit Electronic Pumps, wie sie auf Plakaten anpreisen), Restaurants, Schreinereien, Metzgereien und alles bunt durcheinander. Und zwischendurch springen überall Männer rum. Ja, Frauen gibt es hier nicht. Mally fragte Nasim, wo all die Frauen seien. Darauf antwortete er, was die denn hier sollten. Es gibt andere Plätze in Lahore, die viel besser für Frauen geeignet seien als diese Einfallstraße. Wir fuhren also eine ganze Weile durch Peshawar und ich hielt nach Frauen Ausschau - vergebens. Erst als wir fast schon im Guesthouse angekommen waren und die Straßen ruhiger wurden, da sah ich dann eine Frau. Jedenfalls sah ich die Hülle, in der man eine Frau vermuten könnte, nämlich eine Burka, die auf einer alten Pferdekutsche gezogen wurde. Diese Pferdekutschen sind hier auch bei Weitem keine Seltenheit. Die einachsigen Kutschen, die meist von einem Pferd gezogen werden und die diese riesigen Wagenräder haben, gehören zum Straßenbild von Peshawar und verleihen der Stadt ein sehr altertümliches Flair und seinen besonderen Charme.

Aus dem Auto heraus konnte ich natürlich nicht allzu viel von Pakistan erkennen und somit musste ich mich mit einem ersten Eindruck für diesen Abend zufrieden geben.

Nachdem ich meine Begleitung im Exclusiv Guesthouse abgeliefert hatte machte ich mich auf den Weg ins Büro, wo ich als erstes die Kunde zu Gehör getragen bekam, dass der geplante Trip in die Berge am folgenden Dienstag nicht stattfinden könne und auf Mittwoch vertagt werden müsse, da die erforderliche Security nicht bereitgestellt werden konnte. Damit hatte sich mein Aufenthalt in Peshawar spontan um einen Tag verlängert. Das gab mir die Möglichkeit, am folgenden Dienstagnachmittag mit Mally die Stadt in Augenschein zu nehmen. Mr. Van der Vlught hatte uns gebeten, einen Maurerhammer für seine geologischen Felduntersuchungen zu besorgen. Da Nasim schon morgens wieder zurück nach Lahore gefahren war, Imran aber schon mit Herrn Paul angereist war und mir somit als mein persönlicher Chauffeur zur Verfügung stand, konnte die Aktion also gegen 14:00 starten. Einer der Fahrer des lokalen Office versprach uns, er wüsste, wo wir mit Sicherheit einen Maurerhammer bekommen könnten. Nachdem er ein Foto des gesuchten Gegenstandes studiert hatte packten wir ihn also auch noch ins Auto und machten uns auf die Socken. Wir fuhren also zunächst quer durch die Stadt, die Nachts zuvor noch so friedlich dar gelegen hatte und die jetzt ein buntes Gewirr von hupenden Autos, stinkenden Rikschas und mit ganzen Familien bepackten Pferdekutschen war. Um es gleich vorweg zu nehmen: wir haben natürlich keinen Maurerhammer gefunden. Dennoch sind wir etwa zwei Stunden mit dem Führer durch die diversen Bazars geirrt und haben unser Bestes gegeben. Wir sahen Bazars, die alle Arten Bauwaren führten – außer Maurerhämmer -, fuhren an Bazaren für Zahnprothesen, Gemüse, Tee, Süßigkeiten, Gewürze, Obst, Elektroartikel, Autozubehör, Kleider, Stoffe, Schuhe und, und, und vorbei. Meist durch so enge Gassen, dass man nicht mal aussteigen musste, um seine Geschäfte zu erledigen, weil zu beiden Seiten des Autos die Stände so dicht an uns vorbei kamen. Scheinbar schien unser Führer diese Bazare sonst nur zu fuß zu beschreiten und hatte kein Gefühl dafür, wie eng die Gassen tatsächlich waren.

 Nach zweieinhalbstündiger Suche nach dem Hammer beschloss ich, dass wir das Unterfangen nun für beendet erklären sollten und uns nun dem interessanten Markttreiben widmen sollten. Doch zuvor mussten wir unseren Führer, der sich als der einzige Fahrer im lokalen Büro entpuppte, schleunigst wieder zurück bringen. Er hatte mir vorher gar nicht gesagt, dass er Fahrer ist und schon überhaupt gar nicht, dass er der einzige ist. Mally und ich waren also mit den beiden einzigen verfügbaren Fahrern in einem Auto in Peshawar auf der Suche nach einem blöden, unauffindbaren Hammer und jeder, der im Büro saß und einen Fahrer brauchte, wartete vergebens. Und unsere beiden Fahrer waren die Ruhe selbst… Ab, nach Hause jetzt! Den Copiloten abgesetzt ging es dann wieder los um die besten Plätze, die wir ja schon aus dem Auto begutachten konnten, zu fuß zu erkunden.

 Wir nahmen uns zuerst einen Kleider- und Schuhbazar vor. Zahlreiche Tuchhändler, Schuster und fliegende Händler reihten sich hier aneinander. Am interessantesten waren jedoch die kleinen Seitengässchen. Die sind eigentlich sowieso immer am interessantesten, aber hier ganz besonders. Denn hier gab es unzählige kleinere Schneidereien. Als wir in einer Art Geschäftspassage waren machte Mally mich auf eine ganz besondere Sache aufmerksam: in den kleinen Schneidereinen waren in der hinteren Hälfte Zwischendecken eingezogen, so dass man weder oben noch unten aufrecht stehen konnte. Oben hockten Arbeiter, oft Kinder, die an Nähmaschinen das zusammen nähten, was der Meister von unten herauf gab. Sehr bemerkenswert, wenngleich nicht ganz so erfreulich.

 Da es den ganzen Tag schon kleinere Schauer gegeben hatte beschloss ich, mir ein Tuch zu kaufen, was ich als Regenschutz mit in die Berge nehmen wollte. Nach einigen Ständen fand ich dann auch ein Tuch, was mir zugesagt hat und als ich nach dem Preis fragte dachte ich zunächst, mich zu verhören. 70 Rupies konnte einfach nicht sein. Ich beschloss darauf, einfach nicht mehr nach Preisen zu fragen. Das stellte sich aber auch nicht als Lösung heraus, da sich dadurch am Preis nichts änderte. Unfassbar! Ein Tuch, was bei uns daheim gut und gerne für 10 Euro verkauft würde kostet hier nicht mal einen Euro. Ich bedankte mich mehrfach auf Urdu, machte noch ein Foto vom schönen, tuchabgehangenen Innenhof und schon ging es weiter. Wie auch in Lahore gibt es in Peshawar ein Fort, eine sehr alte Befestigungsanlage. Im Gegensatz zu Lahore kann man das Fort hier allerdings nicht besichtigen, da es noch von den Streitkräften als Hauptquartier genutzt wird und dementsprechend gut bewacht ist. Also beschloss ich, dass ich wenigstens einmal drum herum laufen wollte. Mally schaute mich erst nur merkwürdig an und sauste sogleich vorneweg. Ich hatte meine liebe Mühe bei ihrem Tempo mitzuhalten… Übrigens bin ich die meiste Zeit zwei Schritte hinter ihr gelaufen. Erstens ist sie einfach zwei Schritte schneller als ich und zweitens dachte ich, dass ich sie so besser im Auge halten konnte. Ich war sehr vorsichtig in dieser Gegend. Allerdings war der Effekt verblüffend: Da normalerweise die Frauen hier zwei Schritte hinter den Männern herlaufen fielen wir schon alleine deshalb auf. Zweitens hatte Mally ihre ohnehin schon nicht unauffällige Erscheinung mit einem rosafarbenen Kostüm und einem grünen Kopftuch dekoriert, was auch nicht gerade eine Tarnkappe war. Und drittens sind Touristen hier so selten, dass man als Einheimischer wohl jeden Tourist einzeln kennt. Und ich hatte den Eindruck, dass die Einheimischen auch sehr darum bemüht waren, jeden einzelnd kennen zu lernen. So oft wie in Peshawar wurde ich selbst in Lahore nicht gegrüßt und ich musste am laufenden Band irgendwelche Hände von Vorbeilaufenden schütteln, die stets den einen Satz „hello, how are you?“ hervor brachten. Um die stetig wieder auftretende Frage nach unserer Herkunft ökonomischer zu beantworten begann Mally dann irgendwann sich als meine Mutter aus Deutschland auszugeben, zwei zweifellos unglaubwürdige Tatsachen, die jedoch ihren Zweck erfüllten und uns weitere Fragen ersparten. Nachdem wir dann noch ein wenig Obst und ein paar Kekse erstanden hatten machten wir uns dann auf den Rückweg ins Guesthouse, um Pläne bezüglich unseres Dinners zu schmieden. Dessen Resultat war ein Dinner in einem Restaurant der gehobenen Klasse, das durch sehr moderate Preise und nichtsdestotrotz üppige Portionen überraschte. Allerdings hatten Mr. Van der Vlught und ich uns mittags den Magen etwas verdorben, weshalb wir lediglich ein paar Kleinigkeiten bestellten. Alles in allem kann man diesen Tag als ereignisreichen Tag in einer anderen Kultur umschreiben. Bilder habe ich natürlich auch gemacht und werden in Kürze im Internet erscheinen, aber wie immer können sie das Wichtigste nicht wiedergeben...

 Am nächsten Tag war der Trip zur Dammstelle angesagt. Ich war ja nun bestens präpariert: Tuch gegen Regen, neue Treckinghose und neuen Hut hatte ich mir in Lahore noch gekauft, der Rucksack war voller Kekse und Wasser und der Fotoapparat mit vollen Accus und leerem Memory Stick immer im Anschlag. Die beiden Geologen und den Fahrer noch ins Auto gepackt und ab gings im Toyota Pickup durch die Stadt und anschließend über Stock und Stein – im wahrten Sinne des Wortes.

 Für neun Uhr waren wir in Charsadda mit unsren Security Guards verabredet. Die sind hier Pflicht und stören im Wesentlichen auch gar nicht. Naja, wenn sie nicht gerade den Betrieb aufhalten, denn in Charsadda mussten wir als erstes ihre Tagesration an Obst, Nan und Wasser bezahlen. Nan ist das sehr wohlschmeckende Brot hier in Pakistan, ähnlich dem bei uns bekannten Fladenbrot, nur besser. Während der fast halbstündigen Security- und Brotbeschaffungsaktion kamen dann auch unsere beiden lokalen Geologen an, die wir eigentlich morgens im Büro treffen sollten. Da sie aber morgens immer schwer in die Gänge kommen sind wir halt schon mal los und sie mit dem zweiten Pickup hinterhergesaust. Um halb zehn konnte es dann endlich losgehen und wir fuhren zuerst über eine Straße, dann über einen Weg, anschließend über einen Feldweg und schließlich über eine Piste. Gerade als ich dachte, dass die Straße kaum noch schlechter werden kann sah ich auch schon das Munda Headworks, ein Bewässerungswehr, das etwa 2 km unterhalb unserer Dammstelle liegt. Jetzt waren wir fast an der Dammstelle. Aber halt nur fast. Jetzt wurde mir klar, was die Bezeichnung „jeepable“ in den Karten bedeutet. Von Straße, Weg oder Piste konnte jetzt keine Rede mehr sein. Jetzt wurde der Jeep notwendig, denn jetzt ging es über Stock und Stein. Kein Problem in einem Jeep. Jedenfalls wenn die Bremsen klappen. Kurz vor Munda Headworks nämlich sah mich der Fahrer etwas merkwürdig an (aber nicht ängstlich), sah auf das Bremspedal und sagte „Break naheen“. „Naheen“ ist urdu und bedeutet „nein“. Uups! Bis zur Stelle im Gelände hatte ich mir noch keine großen Sorgen gemacht, denn dass die Bremsen mal nicht so astrein sind kommt hier schon mal vor. Aber hier im Gelände sah es etwas anders aus. Aber unser Fahrer wusste auch diese Situation zu meistern und bei der Durchquerung des ersten großen Nullahs (kleiner Fluss, der nur in der Regenzeit Wasser führt) hat er uns mit erstem Gang, Allrad und Handbremse sicher auf die andere Seite geführt. Als wir dann an unserem „Ziel“ waren, also an der Stelle, wo auch der Jeep nicht mehr weiterkam, sind wir ausgestiegen und haben ihn zurück ins nächste Dorf geschickt, um Bremsflüssigkeit zu kaufen. Jetzt war der Fahrer ein „Geschickter“.

 Unsere kleine Reisegruppe machte sich dann zu Fuß weiter und nach einer halben Stunde hatten wir die Dammstelle dann erreicht. Unterwegs gab es sehr viel zu sehen: graue Steine, weiße Steine, braune Steine, dunkelblaue Steine … Ich habe etwa 100 Fotos von der Damsite und ihrer Geologie gemacht und wenn ihr nicht brav sein zeig ich sie euch alle! Also, für Nicht-Geologen und Nicht-Interessierte mag das wohl alles sehr langweilig sein, für Kundige aber hochinteressant. Denn es geht bei der geologischen Erkundung einer Dammstelle unter anderem darum, die Gesteine zu bestimmen, ihr Gefüge zu erkennen und herauszufinden, wie das Tal entstanden ist um dann zu entscheiden, ob es brauchbar ist oder nicht. Dabei helfen dann Kernbohrungen, anhand derer man sehen kann, wie das Tal tief unter der Oberfläche aussieht, und Druckversuche, die Aufschluss darüber geben, wie hart der Fels ist. Die Druckversuche gehören zu den Dingen, die einen Ingenieur mehr interessieren, da er wissen muss, wie hoch er den Fels belasten kann. Meine beiden Geologen (die beiden lokalen Geologen hatten sich an eine andere Stelle abgesetzt) waren mehr an der Entstehung des Tales interessiert als an dessen weiterer Verwendung und Brauchbarkeit und da ich ja bekanntlich Ingenieur bin wurde die Konversation schon sehr bald sehr langweilig. Das bot mir die Möglichkeit, mich mit dem Wasser zu beschäftigen und die Hydraulik zu begutachten. Nach einer Weile hatte ich dann herausgefunden, dass auch in Pakistan das Wasser bergab fließt, und so habe ich dann ein paar Fotos von den Security Guards und den zwei Einsiedlern beim Teetrinken gemacht. Die zwei Einsiedler leben in kleinen Felshütten am Rande des Swat River und züchten Bergziegen. Das ist eine sehr angenehme Beschäftigung, denn im Wesentlichen züchten die sich selber und kraxeln selbst durch’s Gebirge, um zu futtern. Wenn unser Damm gebaut wird, inshallah, werden die Einsiedler übrigens zu Umsiedlern. Zum Glück hat ihnen das noch keiner erzählt und so kamen sie also gleich mit einem Bettgestell und einer Kanne Tee mit Milch aus der Hütte gerannt, als sie uns sahen. Extrem bemerkenswert, extrem gastfreundlich.

 Nach dieser kurzen Teepause ging es dann weiter ins Gebirge und meine neuen Bergschuhe kamen so richtig zur Geltung. Sie machten den Aufstieg von 370 bis auf 560 m durch steiles Gebirge sehr angenehm. Waren ja auch schließlich sehr teuer und sind von einer ungeheuer guten Marke. Astreine Verarbeitung, Spezialsohle, bedingt steigeisentauglich, sogar einen neuen Farbton hatte ich gewählt. Also nur vom Feinsten. Und als wir dann so kurz vor dem Gipfel waren, mir der Schweiß von der Stirn rann und unsere Security mich lockeren Schrittes überholte fiel mir auf, dass die Jungs den ganzen Weg nur in ihren Security-Dienstsandalen zurückgelegt hatten. Die kosten maximal 750 Rupies (10 Euro) und haben eine handelsübliche Scheißsohle. Toll Jon, super Geschäft! Naja, nach unserer kleinen Rast am Gipfel kam ich dann auch wieder zu Puste und die Sache war vergessen. Während ich dann so da saß, die Augen geschlossen hatte und Kräfte sammelte tippte mich der Sanitätssoldat von hinten an und sagte: “Excuse me, Sir“ und zeigte mir einen Scorpion, den er mit einer Chirurgenklemme unter meine Nase hielt. Es war nur ein kleiner Scorpion, aber ein weißer. „Extremly dangerous“, sagte er. Aja, dann halt ihn doch besser nicht so dicht unter meine Nase! Nachdem er mir mit einem Stück Pappe sehr eindrucksvoll demonstriert hat, wie die Viehcher zustechen können, hat er ihn dann abtransportiert. Leider ist das Foto nicht gut geworden, was ich vom Scorpion gemacht habe. Er ist nur halb drauf, aber soweit ich mich erinnere war er ohnehin durch die Chirurgenklemme halbiert worden, so dass auch bei geschickterer Kameraführung nicht viel mehr vom Scorpion zu erkennen wäre.

 Weiter durch das Gebirge gab es dann nur noch mehr Steine und Dinge, die Ingenieure und Geologen interessieren, sicher aber keine Newsletterleser. Deshalb erspare ich euch jetzt den Kram und komme gleich zum Abend des doch eher anstrengenden Tages. Der Endete mit einem sehr schmackhaften Dinner bei Pizza-Hut. Peshawar ist wirklich ein Bergdörfchen und man merkt ganz deutlich die Grenznähe zu Afghanistan: Es gibt hier doch keinen einzigen Mc Donald’s! (Was das angeht wäre das schon der richtige Ort für meine Kollegin Anja aus Oberlahr!) Mein Fahrer Imran, den ich zum Dinner eingeladen hatte, konnte es nicht glauben, dass er von mir eingeladen wurde. Ich glaube, das war das erste Mal, dass sowas passierte.

 Er ist 28, gebürtiger Pakistani, sehr schüchtern aber äußerst nett und hoch-sympatisch. Leider ist er einer von den Pakistani, die nur einzelne Worte Englisch beherrschen und somit konnten wir uns zwar nicht über Pakistans Auslandspolitik unterhalten aber eine sehr einfache Konversation war schon möglich.

 Eine lange und erholsame Nacht bereitete mich auf die sechsstündige Heimreise am nächsten Morgen vor und gegen Mittag waren wir wieder in Lahore, wo ich als erstes ein Big Mac Menü geluncht hab. Danach bin ich ins Büro, wo mich die Kollegen schon sehnsüchtig erwartet haben und sehr warm willkommen hießen. Somit war ich wieder im Büroalltag integriert und das Peshawar-Erlebnis wurde zu einer bleibenden Erinnerung.

 Ich hoffe, dass ich euch schonmal einen schriftlichen Eindruck vermitteln konnte und verweise wieder auf mein Online-Fotoalbum www.fotos.web.de/Sven.Homscheid .

 Bis zum nächsten Newletter wünsche ich euch alles Gute und viel Spaß bei den Fotos

 

 Euer Mister Seven


 

Lahore Newsletter viii, June, 12th.

 Hallo liebe Freunde der literarischen Schmankerl aus dem fernen Orient.

  Zunächst einmal möchte ich mich für das lange Ausbleiben meiner Berichte entschuldigen. Das Leben ist hier sooo langweilig, dass ich gar nicht wusste, was ich überhaupt schreiben soll… Ok., ok., ist etwas geflunkert. Eigentlich habe ich in den letzten Wochen versucht, die Abgabefrist für meine Diplomarbeit einzuhalten – leider vergebens. Heute ist der 12 Juni. Bis zum eigentlichen Abgabetermin sind es noch 11 Tage. Am 17. Juni soll mein Flieger nach Deutschland gehen, die Reise dauert effektiv 2 Tage. Ich habe nun eingesehen, dass es in Anbetracht der Tatsache, dass ich mich die letzten drei Wochen mit Dingen beschäftigt habe, die ich als Vorhanden vorausgesetzt habe, die Diplomarbeit in der gesetzten Zeit nur noch unter Einbeziehung ausländischer Billiglohn-Schreibkräfte und 20-Stunden-Schichten fertig stellen könnte. Deshalb habe ich mich nach langem Ringen mit meinem Stolz dazu entschlossen, eine Verlängerung der Abgabefrist zu beantragen. Glücklicherweise stimmte mein Project Manager Mr. Walker einer Fristverlängerung zu. (Originalton: Sie können sich aussuchen, wann Sie abfliegen wollen. Sagen Sie nur mindestens 90 Tage vorher bescheid!) Ich hatte bei Herrn Tönsmann, meinem betreuenden Professor (a.D.) aus Kassel im Vorfeld angefragt, wie lange ich maximal verlängern könnte, und so habe ich eine vierwöchige Verlängerung beantragt. Sie ist noch nicht bewilligt. (Wenn das schief läuft, bin ich aufgeschmissen.) Ich werde morgen also mein Ticket bis zum 31. 7. verlängern lassen. Vielleicht melde ich mich vorher noch mal aus Pakistan…

 Ich habe mal wieder ein paar schöne Wochen hier im sonnig heißen Lahore verbracht. Allerdings musste ich leider in den Nachrichten im Internet lesen, dass es in Deutschland auch ein Wochenende lang richtig heiß war und sogar heißer als hier in Lahore! In Lahore war es an diesem Wochenende etwas bewölkt und nur 30°C während es in Deutschland satte 31° auf der Celsius-Skala hatte! Meine Vermutung ist, dass der verspätete Blumengruß für Marcus und Tina Stockhausen sich mit ein paar pakistanischen Graden entschuldigt hat… Blumen für Marcus und Tina? – Ja. Die zwei haben sich spontan dazu entschlossen, das Klingelschild schmaler zu machen und nur noch einen Namen draufzuschreiben: Sie haben geheiratet. Ich wünsche den beiden alles Glück der Erde! Da verlässt man einmal für kurze Zeit das Land und schon wird die Gelegenheit genutzt und wild rumgeheiratet! Auch Harry und Iris haben sich am 30. April verehelicht, wenngleich das die nachgeschobene kirchliche Hochzeit war. Leute, so viel saufe ich doch auch wieder nicht, dass ihr das in meiner Abwesenheit tun müsst … Auch Harry und Iris wünsche ich nur das Beste.

 Während in Villarriba noch geheiratet wird, wird in Villabajo schon wieder gegrillt. Und diesmal gab es was Besonderes: Fisch. Nachdem die letzten Rezeptverwirklichungen von Chefkoch.de wegen mangelnder Zutaten nicht so richtig zu bewerkstelligen waren habe ich diese Informationsquelle diesmal nur als Ideenkrücke verwendet. Es ist schon phantastisch, was diese Internetseite so alles hergibt. Es gibt für jeden Anlass das richtige Gericht und für jedes Gericht mehrere Rezepte. Letztes Mal hatte ich die Marinade für die Spare Rips nach einem Rezept von Chafkoch.de bereitet. Ich hatte mich seinerzeit gegen die Cowboy-Marinade entschieden und ihr stattdessen eine gewöhnliche louisianische Lagerfeuermarinade vorgezogen. An der Marinade gab es nichts auszusetzen, allein der blöde Hammel, der als Basis diente, war zäher als er im Laden wirkte.

 Ich stöberte also wieder mal im reichhaltigen Fundus von Chefkoch.de und habe ein paar sehr lecker klingende Fischmarinaden gefunden: Weißwein-Zitronen Marinade – Pakistanischer „Weißwein“ ist das Synonym der Weißnasen für Wasser, denn Wein gibt es hier nicht. Barschfilet in Burgunder-Rahmsauce… mmmmmh! Burgunder? Das war doch dieser Rotwein … mist! Forelle in Cherry-Lorbeer Marinade – fällt aus. Nach einigem Zusammenstreichen blieben dann nicht mehr viele koschere Fischmarinaden übrig. Ich habe mich dann für eine Orangen-Grapefruit Marinade entschieden und den Fisch schon dampfend mit einer Orangenecke im Maul auf dem Grill liegen gesehen. Ich machte mich also am Samstagnachmittag (vor einer Woche) auf den Weg zum Fischmarkt in der Altstadt, um auf dem Fischmarkt ein schickes Flossentier käuflich zu erstehen. Auf dem Weg dorthin habe ich meinen Fahrer Nasim gefragt, wo ich denn am besten Orangen und Grapefruits herbekäme. Der hat mich vielleicht komisch angeschaut! „Oranges? Grapefruits? No, sir, it’s not the season for these fruits. You cannot by them now.” Naaaaaa toll!! Man kann ja nicht an alles denken! Also war spontanes Umplanen angesagt. Welche Saison ist gerade? Mango. Oooh ja! Mangos sind echt göttlich hier in Pakistan. Mumtaz hat dazu noch ein ausgesprochen glückliches Händchen beim Kauf derselben. Er kauft nur die Süßesten, die meist faserloses Fruchtfleisch haben und die einem ein wahres Festival der Sinne auf der Zunge bereiten. Mango ist eine echt gute Idee.

 Also habe ich auf dem Fischmarkt am Rande der Altstatt einen großen und einen größeren Fisch gekauft, insgesamt 4,5 kg Fisch einer Sorte, deren Namen ich bis heute nicht kenne. Der Preis für den Fisch war richtig teuer: 550 Rupies (grob 6,90 Euros). Das sind 1,50 pro Kilo. Nachdem ich mich für zwei Exemplare entschieden hatte fragte ich nach dem Preis. Der Fischhändler, ein Junge von etwa 17 Jahren (der Bartwuchs setzte gerade so richtig ein) setzte zu einem längeren Feilschgespräch an: Zögern, „Mmh“, blickt mich an und sagt, eher fragend: „550 Rupies?“ Ich setzte meine Händlermiene und mein Pokerface auf, verkleinerte meine Augen zu winzigen Schlitzen wie Charles Bronson in den alten Western kurz bevor er den Colt zieht, lehnte mich ein wenig nach vorne zum bartlosen Verkäufer und sagte mit meiner Marlon-Brando-Stimme sehr souverän: „Ok.“ Das verdutze Gesicht des Fischhändlers, das sich schon nach kurzer Zeit eingestellt hat – er brauchte etwas Zeit zum verstehen – wäre sogar noch einen Hunderter mehr wert gewesen! Ich ging also am jungen Geschäftsmann vorbei in den Laden und begrüßte erstmal den Vater des Jungen, den Ladenbesitzer (oder Ladenhüter), den ich eine Woche zuvor schon kennen gelernt hatte, als ich mit Ambr und Wasim durch die Altstatt gezogen bin. Er setzte sich darauf hin und bot mir auch einen Hocker an. Als nächstes wurde ein Junge geschickt, mir eine eiskalte Pepsi mit Strohalm an der nächsten Ecke zu kaufen. Anschließend fing er an mit einer Art Machete auf das tote Tier einzuschlagen. Jedenfalls sah es so aus, als er begann den Fisch zu schuppen. ‚Das arme Tier’, dachte ich nur. Aber wahrscheinlich machen sich die dicken Schuppen nicht so gut auf dem Grill. Also ließ ich ihn gewähren und sah ihm stumm zu. Leider ist mein Urdu immer noch nur ansatzweise vorhanden und das Englisch, Deutsch, Französisch und Spanisch der Fischhändler war erwartungserfüllenderweise noch schlechter als mein Urdu. Somit konnte ich mich auch nur durch Schreie verständlich machen, als der große Schupper mit seinem Messer weit ausholte und dem Fisch den Kopf abschlagen wollte. „Nonononono!! No cutting!“ Üblicherweise wird der Fisch hier schon im Laden in kleine Stücke zerteilt. Ich wollte den Kollegen aber einen ganzen Fisch mit Kopf präsentieren. Immerhin isst das Auge ja mit… „No cutting??“ „Nonononono!“ „Wash only?“ „Yes, only wash.“ “Ok” und so nahm der Ladenhüter sein Messer und schälte dem Fisch seine Kiemen aus. Danach sah der Kopf des Tieres allerdings so aus als wäre es bei einem Unfall ums Leben gekommen und nicht eines naturnahen Fischtodes gestorben. „Ok“, sagte ich „cutting!“ So schnell hatte mich der Mann überredet. Aber immerhin hat er mir die beiden Köpfe auch in die Plastiktüte gesteckt, in die er meine beiden neuen Freunde stopfte. Plastiktüten sind hier das Transportmittel Nummer eins. Alles wird hier in Plastiktüten transportiert, die anschließend dann im Straßenrand enden. Oder vor meinen Füßen! Als ich die Tage in der Nähe der Altstatt unterwegs war ging ich an einem Laden vorbei, aus dem plötzlich wie aus einem schwarzen Loch eine Plastiktüte mit Küchenabfällen genau vor meine Füße geflogen ist, mitten auf die Straße. Müllentsorgung auf Pakistanisch. Sogar Suppe zum Mitnehmen wird beim Chinesen in Plastiktüten gepackt!

 

Ich nahm also meine beiden Jungs in der Tüte, verabschiedete mich ausführlich und schlenderte zurück zum Auto. Als wir uns nach einer Stunde durch den dichten Verkehr Lahores zum Guesthouse und von da aus zurück zum Büro gekämpft hatten war es auch schon Zeit, wieder nach Hause zu fahren. So hatte ich den Samstagnachmittag mit Fischkaufen verbracht. Auf dem Weg nach Hause fragte mich Mr. Walker, warum ich Mumtaz nicht den Fisch habe kaufen lassen. Ich sagte, dass es dafür mehrere gute Gründe gäbe und beschrieb dann so in etwa die Szene im Laden.

 Der Fisch war ein Gedicht! Meine Mango-Zitrus Marinade war eine gelungene Neukreation und der Fisch erreichte so die Blüte seines Seins. Allerdings war an dem ersten Fisch so viel dran, dass wir die Alufolie des zweiten erst gar nicht mehr geöffnet haben. Spontan wurde der Speiseplan für Montag auf Fisch umgestellt und nach einer weiteren Nacht in der Mango-Marinade gab der Fisch nun wirklich alles! Wow!

 Den Fischladen hatte ich am Wochenende vor dem Gegrille in der Altstadt aufgetan. An diesem Wochenende war Ambr wieder aus seiner Stadt nach Lahore gekommen und wir hatten uns für Sonntag verabredet, um die Stadt unsicher zu machen. Samstagabend war Fußball Cup-Final der britischen Liga und Mr. Walker, Herr Götz und ich hatten es uns vor dem Fernseher gemütlich gemacht. Es gab ausnahmsweise mal nur belegte Brote, alkoholfreies Bier und Whiskey (echten). Plötzlich, gerade vor Anpfiff der Verlängerung, rief Ambr an. Er fragte, ob er mit seinem Cousin vorbeikommen könnte, um meine Maße zu nehmen. Ich hatte bei seinem Schneider-Cousin ein traditionelles Gewand, von Mr. Walker etwas unliebevoll als „Nachthemd“ bezeichnet, aus dunkelblauem Stoff bestellt. Musste das gerade jetzt sein? Ja. Also gut. Ich hatte ihn gebeten, eine Stunde später vorbei zu kommen und das Maßband nicht zu vergessen. Er kam auch vorbei, hatte allerdings einen anderen Cousin dabei, der kein Schneider ist. Verwechslung? Nein. Pakistanische Chaosplanung. Wasim nahm dann so ziemlich alle Maße, die man nur finden kann, um ja nichts zu vergessen.

 Am nächsten Morgen traf ich Ambr und Wasim dann um zehn am Mc Dondald’s, unserem üblichen Treffpunkt. Ambr war völlig übermüdet und ich etwas enttäuscht, dass er schon wieder Wasim im Schlepptau hatte. Die zwei sind in Kombination sehr anstrengend. Als ich Ambr dann erzählte, dass ich mir die Altstadt ansehen will, erkannte ich an seinem Gesichtsausdruck, dass er eher mit einem ruhigen Tag im Park gerechnet hatte. Aber Ambr machte einen auf starker Mann und sagte nur „no problem“ und wir bestiegen die nächste Rikscha. Die nächsten Stunden müssen für ihn eine wahre Qual gewesen sein …

 Wir haben uns aber trotzdem sehr gut amüsiert. Teilweise hatten die beiden Jungs überhaupt kein Verständnis dafür warum sich die Weißnase nun schon wieder eine enge, leere Gasse in der Altstadt ansehen musste, die doch eh aussah wie jede andere. Ich war jedoch völlig begeistert von den Fassaden und dem Ambiente der kleinen, verwinkelten und staubigen Gassen. Ich habe sie in fotografischer Form so gut es ging festgehalten und einen Auszug für Interessierte in mein Online-Fotoalbum gestellt. Dessen Adresse hat sich übrigens geändert:

 http://fotoalbum.web.de/gast/Sven.Homscheid/xx_NEW_xx_Old_City_Lahore

 Leider ist sie jetzt nicht mehr so komfortabel wie vorher und jedes Fotoalbum hat jetzt seinen eigenen Pfad. Sehr umständlich.

 Die Bilder beschreiben eigentlich recht gut, was wir noch so gemacht haben. Mein persönliches Highlight war der Musikladen, in dem ich den staubigsten Bass in meinem Leben über den schlechtesten Verstärker gespielt habe. Aber es war schön, mal wieder ein Stück Kultur in der Hand zu halten. Ambr hat ein kleines Video gedreht, was ich allerdings nicht im Internet veröffentlicht habe.

 Morgen werde ich mir den eingewachsenen Zehnagel aus meinem linken dicken Zeh herausoperieren lassen. Ich bin sehr gespannt, wie dieses Abenteuer enden wird. Natürlich werde ich euch auch dieses nicht vorenthalten und die blutige und äußerst schmerzhafte Prozedur im nächsten Newsletter äußerst ausführlich schildern. Ebenso wie ich fast an der darauf folgenden Infektion zugrunde gehen werde und mich sabbernd am Hosenbein der fetten pakistanischen Krankenschwester mit ihrem blutbefleckten Kittel vom Boden emporziehen werde und ihr in schmerzverzerrtem Englisch zuhauche „Help … me … … please…„ Auch werde ich nicht auslassen, wie sie mich dann nur auslacht und mir spöttisch zuruft „Help yourself, bloody whitenose!“

 Okok, ich bin in Wirklichkeit doch eher optimistisch. Ich habe für Sonntag schon einen Termin mit einem neuen Bekannten und Kollegen zum Tennis spielen im Avari Hotel. Ich hoffe nur, dass das nicht zu optimistisch ist…

 

Bis zum nächsten Mal aus Lahore.

 

Viele Grüße

Euer Mr. Seven


 

Lahore Newsletter xi, June, 20th.

Hallo liebe Newsletterinteressierte,

nachdem ich wieder wohlbehalten in Deutschland angekommen bin möchte ich noch einmal in Kürze das Wichtigste Revue passieren lassen. Ach so, Moment: soweit ist es ja noch gar nicht. Ich bin ja noch hier in Lahore, im schönen, staubigen, ich meine ganz schön staubigen 10-Millionen-Städtchen am Rande Pakistans. Wer die letzten Newsletter aufmerksam gelesen hat wird jetzt aufmerken: 10 Millionen?? Letztens waren es doch nur 5!! Die Angabe 5 Millionen stammt aus dem Jahre 1990. Mein Reiseführer, den ich für 200 Rupies im Second Hand Laden gekauft habe – übrigens werde ich auch hier bereits mit Namen und Handschlag begrüßt – ist nicht mehr ganz der rasenden Entwicklung der Stadt angepasst. Wenn man eins von Lahore sagen kann, dann mit Sicherheit, dass es wie verrückt wächst. Überall wird gebaut, meistens große Geschäftshäuser, in denen sich dann dutzende von Läden ansammeln, die alle Dasselbe verkaufen. Aber es gibt vor Allem viele Landflüchtlinge hier, die in der frommen Hoffnung herkamen, in Lahore Arbeit zu finden. Viele von denen landen dann auf der Straße. Also ich meine so richtig auf der Straße. Denn dort hat sich eine richtige Geschäftskultur angesiedelt. An jeder Kreuzung müssen die Autos mindestens eine Minute warten. Zur Rush-Hour stehen an jeder Kreuzung zwanzig oder dreißig Verkäufer, die sich zwischen den wartenden Autos durchquetschen und große, mittelgroße oder kleine Luftballons, Kokosnussecken, Tücher, Zeitungen (meist in der pakistanischen „Würmchenschrift“) oder Duftketten feil bieten oder einfach nur an die Fensterscheibe klopfen und die Hand aufhalten. Nasim sagte, dass die meisten organisiert sind und selbst nichts von dem gesammelten Geld haben. Deshalb gebe ich öfter nur ein paar Kekse oder eine Rolle Mentos. Dabei fällt mir der kleine Quälgeist ein, der immer vor dem Supermarkt hier um die Ecke lauert. Eines abends habe ich ihm eine Rolle Mentos gegeben in der festen Überzeugung, ihm was Gutes zu tun. Er nimmt die Rolle, sieht auf meine Tüte, sieht dann mich an und hält dann die Hand erneut auf. Ich dachte ich spinne! Ruck zuck hab ich ihm die Mentos wieder weggenommen. Die Augen hättet ihr mal sehen sollen. Da tat mir der Pimpf schon wieder leid und nachdem ich ihm ein höfliches „Shukrya“, was soviel heißt wie „Danke“, abgerungen habe (war ganz schön schwierig, eine freundliche Geste aus der Kröte rauszukriegen), habe ich ihm die Rolle wiedergegeben und er hat eingesehen, dass da nix zu verhandeln ist.

Im Grunde sind das schon ganz schön arme Schweine, die da auf der Straße rumlungern. Immerhin ist das ja nicht ganz ungefährlich, zwischen all den halb- und vollwahnsinnigen Autofahrern rumzuspringen und um Kohle zu betteln. Denn wenn die Pakistani eines nicht können, dann Autofahren. Eigentlich ist hier Linksverkehr. Eigentlich. Aber beim Abbiegen, Einparken oder auf kleineren Straßen kann sich das schonmal rumdrehen. Dass die weißen, gestrichelten Linien auf der Fahrbahn eine Bedeutung haben, davon will man hier nichts wissen. Auch rote Ampeln sind hier reine Interpretationssache. Ein Pakistani braucht eigentlich keine Rückspiegel im Auto. Er benutzt sie ohnehin nicht. Es interessiert ihn auch gar nicht, was hinter ihm passiert. Vorne spielt die Musik. Jeder passt nur auf, dass er dem Vordermann nicht auf die Karre knallt. Mehr zählt nicht. Ich habe unseren Fahrer Toffiq mal gefragt, ob es hier so etwas wie „Rechts-vor-Links“ gibt. Häää?? Wer zuerst an einer Kreuzung hupt, der fährt zuerst. Es sei denn, dass gerade ein anderer aus einer anderen Richtung mit hundert Sachen angebrettert kommt und es so aussieht, als ob er nicht mehr rechtzeitig zum Stehen kommt (und wann sieht es nicht so aus?). Dann können sich die Regeln schonmal geringfügig ändern…

Wie angekündigt habe ich mir meinen eingewachsenen und entzündeten Zehnagel ziehen lassen, ein Event, was ich euch natürlich nicht vorenthalten möchte. (Ich werde meine Schmerzensschreie und die blutigen Szenen sowie nicht jugendfreie Flüche aus Jugendschutzgründen im Folgenden ausblenden.) Ich hatte das Problem in Deutschland schonmal. Damals bin ich zum Arzt hin, habe ihm den Zeh gezeigt und er sagte: Kein Problem. Machen wa sofort. Zwei Spritzen, ein Schnitt, zackzack und die Sache war gegessen. Nunja, vorerst jedenfalls. Denn da der Arzt seinerzeit ein Stück des Nagels in Längsrichtung abgetrennt hat, dabei das Nagelbett geteilt und leider nicht richtig abgetötet hat ist der eigentlich entfernte Teil des Nagels als autonomes Mitglied meiner Fußnagelfamilie unter seinem großen Bruder nachgewachsen und hat sich in das Zehfleisch einquartiert. Eigentlich war ich immer schnell genug, den Nagel kurz vor Eintritt ins sensible Zehabteil zu kappen, aber diesmal war ich zu langsam und so kam was kommen musste. Ich fragte also besagten Fahrer Toffiq Montag vor einer Woche, ob es hier einen guten Chirurgen gibt. Antwort: „No problem, Sör.“ Au Backe! Wir sind also direkt Montags morgens ins Latif Hospital, dass er mir mit den Worten „private“ und „very expensive“ beschrieben hat. Ok, dachte ich, klingt genau richtig. Vor Ort angekommen führte man mich zunächst einmal in die Notaufnahme – „Emergency“. Naja, ganz so dramatisch war es ja nicht, aber schön, dass es jemand ernst nimmt. Ein kleiner Tresen mit einem Computerbildschirm, der aber nicht zu funktionieren scheint, war zur Rechten der Doppelflügel-Schwingtür, die in die Emergency-Abteilung führte. Ich brachte an der Theke kurz mein Anliegen vor und wurde auch direkt, also ohne warten zu müssen, fast in einem Rutsch durch, ins Behandlungszimmer geschickt. Der Weg dorthin führte durch die besagte Doppelflügel-Schwingtür und vor mir kämpfte sich ein junger Mann mit einem riesigen fahrbaren Apparat durch die Vorhänge, die sich im Anschluss an die Doppelflügel-Schwingtür zeigten. Die Vorhänge trennten jeweils einzelne Abteile ab, die aus einem handelsüblichen Krankenhausbett in der Mitte und ein paar spezifischen Geräten am Rand bestanden. Ich folgte also zunächst dem Mann mit dem Gerät und kam, nachdem ich die ersten Vorhänge hinter mir gelassen hatte, auf einen kurzen Gang. Eine nette Schwester wies mir den Weg geradeaus in ein Behandlungszimmer, das von zwei großen Doppelflügel-Schiebetüren gesäumt war. Leider wartete in dem Behandlungsraum bereits jemand, und ich stellte mich also brav und artig vor die Tür und wartete. Mittlerweile hatte der junge Mann auch seinen fahrbaren Apparat über einem der handelsüblichen Krankenhausbetten in einem dieser Abteile in Position gebracht und startete das Gerät. Die ganze Familie der Patientin (wahrscheinlich war es nur ein Bruchteil der gesamten Verwandtschaft) stand um das Bett herum und wahr bemüht, so gut es ging zu helfen. Nach ein paar Sekunden kam der junge Mann mit einer grauen Platte unterm Arm hinter der Patientin hervor. Diese Art von grauen platten kenne ich doch … hmm. Na klar! Röntgen! So wird also in Pakistan geröntgt. Wo bei uns ein riesen Drama drum gemacht wird – Röntgenpass, Röntgenraum und all so ein Schnickschnack – da werden hier gleich ganze Familienfotos draus gemacht. Und alle strahlen!

Nach kurzem Warten wurde der Patient aus dem Behandlungsraum herausgeführt und musste dem potenten, weißnäsigen Patienten Vorrang einräumen – erstaunlicherweise völlig ohne Widerstand. Der Arzt kam prompt, sah sich den Zeh an und sagte: Kommen Sie heute Abend wieder und sehen Sie Dr. Gardezi. Der ist Spezialist. Ok, sag ich, mach ich. Ok, sagt er, 200 Rupies.

Abends bin ich also wieder da, am gleichen Tresen und der gleiche Typ empfängt mich, der mir am Morgen die Quittung über 200 Rupies ausgestellt hat. Er führt mich direkt in die Praxis des großen Udini, ääh Gardezi, und lässt mich im Wartezimmer mit mir, den zehn anderen Wartenden und den mir völlig unbekannten lokalen Gepflogenheiten alleine. Was ich auf den ersten Blick wahrnahm: Männer links, Frauen rechts. In der Mitte stand ein kleiner Tisch, der offenbar für die Sprechstundenhilfe bereitet war. Offenkundig war ich zu früh da. Und die zehn anderen auch. Ich wurde zunächst einmal von oben bis unten und dann auch wieder rückwärts gemustert. Eine Weißnase. Ich habe mich dann flux mit meiner Weißnase in die „Zeit“ verkrochen, die mir Professor Meon dankenswerter Weise zum Lesen überlassen hatte. Nicht, dass ich kontaktscheu wäre, aber manchmal möchte man einfach nur gemütlich deutsche Gepflogenheiten ausleben, und dazu gehört nunmal, im Wartezimmer zu lesen. Und zu den pakistanischen Gepflogenheiten gehört es nunmal, mitzulesen. Verbittert versuchten die beiden, nein eigentlich alle vier Banknachbarn, ihre Nasen in meine Leih-Zeitung zu stecken und das ein oder andere Wort zu erkennen. Zum Glück haben sie schon schnell wieder aufgegeben. Jedoch bei jedem Umblättern kamen die Köpfe wieder, um die Bilder anzusehen.

 Nach einer halben Stunde kam die, zugegebener Maßen sehr hübsche, Sprechstundenhilfe und notierte alle Namen in der Reihenfolge, wie sie ihr zugerufen wurden. Nicht schwer zu erraten, dass mein Name nicht ganz oben stand, denn an diese Gepflogenheit muss man sich auch erst gewöhnen. In einer Art willkürlichem Chaosprinzip rief sie dann nach einer Weile die Namen auf, und so kam es, dass ich doch schon als Achter und nicht als Zehnter dran war.

 Dr. Gardezi ist ein sehr netter Mann von etwa Anfang Fünfzig, grau durchsetzten Haaren, sowohl auf dem Kopf als auch davor, also am Schnäutzer. Er sah sich den Zeh an, hörte sich meine Geschichte an und sah sich sogar meine Zeichnung meines Zehs an, die ich am Nachmittag noch flux auf ein Stück Papier skizziert hatte, um die Lage im Detail erläutern zu können. (Typisch Ingenieur!) Er hat alles zur Kenntnis genommen, mir ein paar Antibiotika verschrieben und mich für Mitte der Woche wieder einbestellt. Wenn die Entzündung bis dahin weg sei und wenn sich das Problem nicht von selbst erledigt hätte (Allah sei Dank) würde er den Nagel dann herausziehen. Allah brauche ich diesmal nicht zu danken und so kam es, dass ich das charmante Lächeln der Sprechstundenhilfe am Donnerstagabend wieder sehen durfte. Allerdings war diesmal nur ein einziger Patient vor mir und ich war sehr schnell dran. Gut, dachte ich, dann habe ich es schnell hinter mir. Nach kurzer Begrüßung und ein wenig Smalltalk sah er sich den Zeh an und sagte: Ok, wir werden den Zehnagel komplett entnehmen und dann wird ein einziger Nagel nachwachsen. Inshallah. Ich hatte mir von Mr. Walker noch ein Bisschen mehr Geld mitgeben lassen, um den Eingriff direkt in bar bezahlen zu können. Prima, dachte ich, dann kannst Du ja am Sonntag schon wieder Tennis spielen. Erstens: es kommt alles anders! Zweitens: …

 Und so machten wir also einen Termin für Samstagmittag aus, Schlag 12 Uhr. Ich solle mir für den Nachmittag nichts vornehmen und einen Fahrer mitbringen. Ok.

 Samstagmittag hatte ich also einen Fahrer, Nasim nämlich, organisiert und Bescheid gesagt, dass ich „mal kurz weg“ bin. Zameer, unser Tag- und Nachtwächter, hatte spontan beschlossen, dass er mich begleiten will. Nur für den Fall, dass ich Hilfe bräuchte. Ich habe ihm zwar verständlich machen wollen, dass Nasim völlig ausreichend ist, um mir mein Händchen zu halten, aber seit ich Zameer vor einem blühenden Strauch fotografiert und ihm das Foto ausgedruckt habe weicht er mir nicht mehr von der Seite und wird mir wahrscheinlich auf ewig dankbar bleiben. So sind wir also zu dritt ins Krankenhaus angereist und wurden auch direkt von dem Arzt in Empfang genommen, der mich zuerst behandelt hat. Was für ein Service! Ich wurde direkt in die Abteilung „Post-OP“ geführt, wo ich mich zunächst mal auf eine Liege setzten sollte und kurz warten musste. Post-OP? Das ist doch die Abteilung für nachher … Naja, Pakistan halt! Zunächst mussten Zameer und Nasim draußen warten und ich wurde in einen kleinen Raum geführt, in dem ich meine in Pakistan gekauften Klamotten gegen ein paar andere pakistanische, zum Krankenhaus gehörigen, Klamotten eintauschen musste. So schick in einem blau karierten Dress mit blauer Hose gekleidet saß ich also auf der besagten Liege und wartete. Etwa eine halbe Minute. Dann kamen zwei äußerst attraktive junge Schwestern zu mir und fragten mich nach Namen und Herkunft. Brav antwortete ich „Don Jon el Grande aus dem fernen Germanien“, und so kam es auch, dass auf meiner Krankenakte „Mr. Jon“ zu stehen kam. Dritte Frage: Are you married? Zu Deutsch: Bist verheiratet Du? Wahrheitsgetreu antwortete ich: “Nö!“ Zack! Schon waren es fünf hübsche Schwestern. Holla!! Eine der Fünf, die einen grauen statt der sonst üblichen dunkelgrünen Pollunder trug, erklärte mir, dass das Mädel zu ihrer Linken Pakistan überhaupt nicht möge und es liebend gerne verlassen will. Ich habe ihr daraufhin von meiner Liste mit Namen erzählt, die mittlerweile zwei Seiten lang ist und nur Namen von Leuten enthält, die ich mit nach Deutschland nehmen soll. Ich fragte die graue Schwester, ob sie denn Pakistan auch nicht mag und es verlassen will. Daraufhin drehte sie sich erstmal verlegen um und suchte eine Beschäftigung. Nach kurzer Zeit kam sie wieder und sagte: Nein, ich mag Pakistan auch nicht.

 Dann kam die Oberschwester im roten Pollunder und löste unsere Versammlung, erstmal, auf. Nach einer Weile kamen Nasim und Zameer dann rein und fragten, wann es denn endlich los ginge. Ich sagte, dass Dr. Nasim den Eingriff ja eigentlich auch selber machen könnte und nur einen Augenblick später musste ich ihn bitten, die Schneiderschere wieder beiseite zu legen. Durch unsere Flaxerei wurden die jungen Schwestern wieder aufmerksam und gesellten sich wieder zu uns. Nach wenigen Viertelstunden (sechs, um genau zu sein) wurde ich dann in den OP geführt. Das war ein richtiger OP mit Fliesen bis an die Decke, einem OP-Tisch in der Mitte mit zwei OP-Leuchten, OP-Besteck und OP-Kitteln. Als erstes musste ich mir eine Schlumpf-Mütze über mein Haupte ziehen, damit sich bei der Operation am offenen Herzen keine goldene Strähne in die Aorta verirren kann. Als der Arzt dann endlich kam sagte ich eher lässig: Einmal Nägel schneiden bitte! Was darauf folgte war weit weniger lässig. Denn die Spritze alleine, die eigentlich den Schmerz lähmen sollte, hat mir äußerst eindringlich gezeigt, dass der Zeh noch lebt! Uaaa. Und dann ging es los.

 An dieser Stelle blende ich, wie gesagt, kurz aus und deute die Geschehnisse schemenhaft an: Viel Blut, viel Schmerz.

 Und als ich da so auf dem Tisch lag, mir gerade überlegt hatte mich besser hinzulegen, bevor mein Kreislauf vollends kollabierte, da fiel mir ein, dass Christian mich gefragt hatte, ob ich heraus bekommen könnte, wo das Fußballspiel Indien gegen Pakistan am Abend stattfinden sollte. Und so purzelte die Frage aus mir heraus: Does anyone know where the „Punjab Stadium“ is? Ich sah es ganz deutlich in ihren Gesichtern: ??? Spinnt der? Kriegt hier gerade nen Zehnagel gezogen und ihm fällt nix besseres ein als nach dem Fußballstadion zu fragen, zumal doch Cricket hier Sportart Nr. 1 ist. Nach kurzer Diskussion erklärte mir dann Dr. Gardezi, dass das Qadafi-Stadion das Punjab-Stadion ist und dass dort heute Abend das Spiel sei. Ob ich denn hin gehen wolle. Ich sagte, dass ich mir das nochmal überlegen werde, in Anbetracht der Tatsache, dass das Nagelschneiden blutiger war als vermutet. Und so kam es, dass ich wahrscheinlich seit Jahren, wenn nicht überhaupt, der einzige Patient war, der mit so viel Stimmung aus dem OP geschoben wurde. Also nicht ich hatte die Stimmung, sondern die jungen OP-Helfer. Was waren die gut drauf… Und alle anderen ließen sich nur allzu gerne anstecken. Als ich an einem anderen OP vorbeigeschoben wurde, in dem gerade zwei Typen das Besteck präparierten, wurde erstmal eine Vollbremsung hingelegt und die Liege wieder zurückgeschoben. Dann lernte ich den Freund des OP-Helfers kennen (Name habe ich leider vergessen, war aber pakistanisch) und musste eine ganze Reihe Hände schütteln. Nachdem dieser Teil absolviert war wurde ich weiter über den Flur und dann durch das Treppenhaus geschoben, in dem unter zwanzig anderen auch Nasim und Zameer warteten. Wir begaben uns dann gemeinsam in die mir bereits hinlänglich bekannte Abteilung „Post-OP“, in der ich dann die Liege gegen ein handelsübliches Krankenhausbett eintauschte. Sekundenbruchteile später standen etwa acht (!!) Schwestern und zwei Pfleger um mein Bett herum und wollten meine Geschichte hören, darunter auch die Oberschwester mit dem passenden Namen „Christina“. Erst jetzt weiß ich, was „Hahn im Korb“ bedeutet. Das war ein Erlebnis der ganz besonderen Art, der angenehmen, wohl bemerkt. Ich hatte zeitweise sogar den Gedanken, den zweiten Zehnagel auch noch zu opfern. Aber das war, bevor die Narkotisierung nachließ. Gut positioniert, nämlich direkt in Reichweite des Schwestern-Aufenthaltsbereiches, verbrachte ich also die nächsten zwei Stunden, die dazu dienen sollten, abzuchecken, ob alles in Ordnung sei. Also eigentlich war nur eine der beiden Stunden davon erforderlich, aber Dr. Gardezi war schon wieder anderweitig beschäftigt. Nach eineinhalb Stunden kam dann die Abendschicht und nochmal eine Ladung junger Frauen, die jedoch ästhetisch gesehen denen der Frühschicht in einigem nachstanden. So entschloss ich mich dann auch kurzerhand zur Selbstdiagnose, befand mich für geheilt und entließ mich – fast. Schwester Christina schrieb mir noch einen Zettel mit Anweisungen bezüglich Schmerzmitteleinnahme und Rekonsultierung des behandelnden Arztes und wies mir den Weg zur Kasse. Dann ließ ich mich ins Guesthouse fahren, wo ich in meinem Bettchen darauf wartete, dass die Narkose nachließ und die Schmerzen einsetzten. Und das taten sie, oo-ja. Und die Schmerzmittel wirkten nur mit erheblicher Verzögerung… Heute, Montag, bin ich fast schmerzfrei. Ich war schon zweimal zum Verbandwechseln und habe die Theorie aufgestellt, dass derjenige, der dem Blue-Tooth seinen Namen gegeben hat, wohl eine ganz ähnliche Operation hinter sich hatte und nur Toe und Tooth verwechselt hat. War kaum wieder zuerkennen.

 So, jetzt wisst ihr, was ich am Wochenende so gemacht habe. Aber heute habe ich mich schon wieder fleißig meiner Diplomarbeit gewidmet und der Alltag ist auch schon wieder zum Greifen nah. Morgen Abend nach dem Verbandwechseln will ich nochmal in der Post-OP vorbeisehen und Tschöö sagen.

 Das sage ich auch an dieser Stelle schonmal. Tschöö. Bis zum nächsten Mal, wenn ich wieder ein wichtiges Körperteil hergebe nur um meinen nach Stories lefzenden Leuten in der Heimat einen Dienst erweisen zu können.

 

 Liebe Grüße

 Euer Mr. Jon


 

Lahore Newsletter x, July 19th

 Hallo liebe Newsletterleser!

 Zunächst einmal eine kleine Korrektur des letzten Newsletters: Der nordostpakistanische Druckfehlerteufel „Imran“ hat sich in der letzten Betreffzeile eingeschlichen. Natürlich sollte das der ix. und nicht der xi. Newsletter sein. Dies hier ist also der x. Newsletter von Pakistan und ich bin schon ein bisschen stolz auf mich, dass ich das Schreiben so eisern durchgehalten habe. 10 Newsletter in 5 Monaten. Uiuiuiuiui!

 Heute gab es einen Grund zu feiern. Heute, am 19. Juli 2005, fast einen Monat nach dem eigentlichen Termin, habe ich meine Diplomarbeit, das Ziel meiner Reise, nach Deutschland geschickt. Resümierend kann ich feststellen, dass ich mit dem Ergebnis voll zufrieden bin. Daraufhin habe ich es mir heute gegönnt, schon um 18:00 Uhr aus dem Büro heimzufahren. Auf dem Weg ins Guesthouse war Alexis Bonneschky, mein Kollege, der seit etwa einer Woche wieder hier in Lahore ist, noch in seinem Hotel abzusetzen. Spontan entschied ich mich im Auto, als wir so vor dem Hotel hielten, nicht mit dem Nörgelserben Branko und dem Fahrer Arif zurück zum Guesthouse zu fahren. Das hat mich, wie ihr euch sicher vorstellen könnt, eine Menge Überwindung gekostet, denn ich bin natürlich stets scharf darauf, mich mit dem rassistischen Nörgelserben über Gott und die Welt anzuschweigen oder mit Arif auf Urdu eine gepflegte Unterhaltung über die Politik der USA im nahen Osten und der Rolle Pakistans als mögliche Vermittler zu führen. Und so folgte ich also nach endlos-langer zwei-Millisekunden-Überlegung der Einladung Alexis’ auf die ein oder andere Flasche leckeren pakistanischen Murree Biers, um auf den Versand meiner Arbeit anzustoßen. Das Bier hat erstaunlich gut geschmeckt, etwa so, wie ein Feierabend Bier nach einem langen, laaaangen Arbeitstag. Wiederum zur Feier des Tages habe ich dann den Rikschafahrer, der mich freundlicherweise vom Hotel zum Guesthouse gefahren hat, überrascht. Nachdem ich ihn erst von 80 auf 60 Rupies runtergehandelt habe, habe ich ihm dann letztendlich einen Hunderter in die Hand gedrückt, ihm gesagt „good job!“, mich über sein verdutztes Gesicht gefreut und mich dann an den Dinner Tisch begeben. Und wiederum zur Feier des Tages hat Mumtaz ein gar köstliches Mahl bereitet, bestehend aus Hühnchenfilet in süß-saurer Sauce mit Gemüsereis und Kartoffeln, Dahll und Chubatti… mmmh! Und zur Feier des Tages gab es noch zwei Bier, die wir uns geteilt haben und auf die Versendung der e-Mails angestoßen haben. Als Nachtisch gab es Pudding mit Karamel-Sauce. Nach fünf Monaten Zusammenlebens mit Mumtaz weiß er, dass ich den Pudding nicht mag und so bekam ich meine Extraportion Mango. Auf die etwas zynische Bemerkung von Mr. Walker, dass ich schon Extrawünsche habe wie der Nörgelserbe antwortete ich lässig, dass der große Unterschied darin bestehe, dass ich niemanden anbrüllen muss, bis ich Extraservice bekomme. Tatsächlich macht Mumtaz das von sich aus und amüsiert sich immer über meine Freude diesbezüglich. Mumtaz hat mir gestern wieder erklärt, dass er mit nach Deutschland kommt, um dort einen pakistanischen Tikkagrill zu eröffnen. Ich habe ihm, wie immer, gesagt, dass ich in meinem Koffer nachsehe, ob ich noch Platz für einen handlichen Koch habe. Aber: es wird sehr eng! Er muss sich den Platz mit ca. 40 anderen Teilen, die noch auf meiner Liste stehen.

 Morgen Abend werde ich wahrscheinlich wieder mit Alexis und einem anderen Kollegen, der zurzeit im Avari-Hotel wohnt, Tennis spielen gehen. Das haben wir am Sonntag auch schon gemacht. Da meine Diplomarbeit schon am Samstag soweit fertig war und ich nur noch auf die artikulativen Korrekturen von Mr. Walker wartete, war ich Sonntag schon recht ausgelassen und zu Tennis und Schwimmen bereit. Zum Glück waren wir zu dritt auf dem Platz, denn trotz des recht frühen Termins um 10:00 morgens war es schon sehr heiß und jede Bewegung verlangte Mühen und Strapazen ab. Ach ja, eigentlich waren wir zu fünft auf dem Betonplatz des Avari-Hotels: zwei mitgemietete Balljungen, das heißt ein Balljunge und ein Ballopa, waren auch noch mit von der Partie. Vielen Dank an diese beiden Hilfen, denn wir hatten leider nur 6 Bälle und nicht gerade ein glückliches Händchen im Spiel (jedenfalls anfangs), so dass unser Spiel wohl nur 20 Minuten gedauert hätte, wenn wir jedem Ball hätten hinterher hechten müssen. 45 Minuten haben schon vollauf gereicht! Was war ich kaputt danach! Da half nur noch eins: ab ins kühle Nass! Natürlich nicht ohne vorher den salzigen Schweißbelag von meiner Haut zu spülen, in der Dusche, nicht im Pool. Wobei das bei dem Chlorgehalt wohl keine Rolle mehr gespielt hätte. Aber es geht halt ums Prinzip! Dummerweise ist die Sonne Pakistans sehr heimtückisch. Wenn man denkt, dass sie nach pakistanischem Vorbild hinter den Wolken ein „süßes Nichts-tun“ zelebriert, dann brät sie einem in Wahrheit gerade das Hirn gar. Ich sag nur: Sonnenstich par éxelence! Zum Glück machte der sich erst bemerkbar als ich wieder im Guesthouse war und eine Stunde geschlafen hatte. Ich hatte noch nie im Leben solche Kopfschmerzen. Nach zwei pakistanischen Aspirin (entspricht etwa einer halben deutschen) und einer (deutschen) Paracetamol ließ ich mir dann vor lauter Schmerz das äußerst leckere Filet Steak aus der Avari-Küche noch mal durch den Kopf gehen – rückwärts! Nach zwei weiteren Stunden Schlaf war dann alles ausgestanden. Puuh!

 Das Wetter hier ist seit dem ersten Juli sehr heimtückisch. Die Sonne versteckt sich oft hinter unschuldigen, zu einer geschlossenen Decke zusammen geschobenen Wolken und wartet auf leichtsinnige Deutsche, denen sie das Gehirn anheizen kann. An manchen Tagen ist es sehr schwül und man schwitzt schon vom puren Rumstehen. An den restlichen Tagen regnet es. Man nennt das hier „Monsun“ (engl.: monsoon, urdu: monsuuuuun). Den Auftakt hat am 1. Juli ein Spektakel gemacht, das (zumindest in Deutschland) seinesgleichen sucht. Es hat sich gegen 11:00 morgens zugezogen, es wurde plötzlich nachtschwarz und verharrte so etwa eine halbe Stunde. Einfach so. Nichts tat sich. Weltuntergangsstimmung. Dann: ein Tropfen, ein Donner, noch ein Tropfen, noch ein Tropfen und noch ein Tropfen und noch ein Tropfen und dann: ich sah nur, wie die Vögel sich mit mühe an den Bäumen festkrallten, auf denen sie saßen. Was hat das geregnet! Geschüttet, geplätschert, gehundet und gekatzt, gekübelt (ach nein, das war was anderes!), kurzum: innerhalb eines Bruchteils einer Sekunde (ungelogen) war unser Teeboy Afteb (formerly known as „Gafur“), der draußen stand, bis auf den Leib nass. Nach einer halben Stunde stand unser Badminton-Feld vor unserem Büro unter Wasser. Es hatte sich ein See gebildet und man überlegte intern, demnächst auf Wasserball umzusteigen. Nach weiteren zehn Minuten rannte dann Nasim, einer unserer Fahrer, raus und fuhr seinen Wagen von der Wiese respektive aus dem See. Noch eine Handbreit mehr Wasser und die Karre wäre vollgelaufen. Nach einer weiteren halben Stunde, in der ich mich kaum konzentrieren konnte, hörte es dann langsam auf zu regnen und ich ging langsam nach vorne zu dem Fluss, der eine Stunde vorher noch die Straße war. Ein reißender Strom hatte sich aus der Straße entwickelt. Fahrradschieber, die vorbeikamen, verdeutlichten sehr anschaulich die maximale Abladetiefe: das Wasser stand ihnen bis zu den Knien! Gegen eins bekamen wir dann Hunger und entschieden Nasim zum Nahrungsmittelholen loszuschicken. Nach zehn Minuten stand er wieder vor mir und sagte: „Sorry Sir, no outcoming. Some Roads are two meters under!“ Einige Straßen waren mit etwa 2 Metern Wasser bedeckt. Ok, also Kekse heute Mittag! Und zu allem Übel hatte ich meine Kamera im Guesthouse gelassen und konnte das ganze Spektakel nicht in Bild und Ton festhalten. Am nächsten Tag regnete es dann auch, aber nicht mehr ganz so schlimm. Ich hatte schon überlegt, den Kindern von nebenan Geld anzubieten, dass sie sich in das Wasser auf der Straße knieten, um anzudeuten, wie tief es gestern war. Ich habe mich dann dagegen entschieden, da ich die plärrenden Plagen von nebenan, die durch ihr lautstarkes Cricketspielen am häufigsten an meiner Konzentrationslosigkeit schuld waren, nicht auch noch mit Finanzhilfen unterstützen wollte, so dass sie sich wohlmöglich noch neue Cricketbälle kaufen würden…

 Ich werde ein paar der Bilder morgen ins Netz stellen. Ist was wert zu sehen. Übrigens meint man immer, wenn man bei Regen durch Lahore fährt, dass für die Pakistani jeder Regenschauer überraschend kommt. Es gibt Straßen, wohlgemerkt Hauptverkehrsachsen und Knotenpunkte, die bei jedem Regen unter Wasser stehen, ganz so, als ob das Wort „Monsun“ in deren Gehirnen einfach und sehr erfolgreich von einem zum anderen Tag verdrängt wird. Es gibt oft überhaupt keine Straßenentwässerung. Oft haben die Straßen sogar Gefälle in die Fahrbahnmitte und bilden sich beim kleinsten Schauer schon herrliche Stadtseen. Da kam mir doch noch eine Idee: Wie kommen wir eigentlich abends wieder zurück ins Guesthouse? Boote haben wir ja keine hier und die Straße schien sich eher noch mit Wasser zu füllen anstatt zu leeren. Ich fragte Raza, unseren Word Processor (ja, sowas haben wir hier auch), wie das Wasser wieder von der Straße wegkommt? Gullys gibt es ja keine. „Oh“, antwortete der, „Lahore hat vier Pumpen, die das Wasser in den Ravi River pumpen. Und zwei davon funktionieren sogar!“ Glückstag?? Nicht ganz, aber der Wasserspiegel war gegen sechs abends soweit abgesunken, dass man wenigstens vorsichtig mit dem Auto auf die nächst größere Hauptstraße gelangen konnte. Großer Nachteil: man sieht die Schlaglöcher nicht, wenn sie unter Wasser sind. Blup …. Blup … Blup … … Sehr schönes Erlebnis.

 Morgen wollte ich eigentlich mit meinem Kollegen Götz ein Wasserbaulabor in der Nähe von Lahore besichtigen. Sein Projektbüro lässt da gerade Versuche machen und ich bin natürlich sehr neugierig. Aber leider, leider haben die Laboranten heute angerufen und gesagt, dass sie gerade kein Wasser haben. Der Bewässerungskanal, den sie zur Speisung der Anlage nutzen, führt wohl zurzeit kein Wasser, da er aufgrund eines Notfalls entwässert werden musste (hat etwa einer vom Militär seine Kontaktlinsen darin verloren??). Deshalb werde ich morgen erstmal ins Büro fahren und dann mal sehen, was der Tag so bringt. Donnerstag treffe ich mich mit Ambr. Letztes Treffen vor meiner Abreise. Habe mir extra einen Tag frei genommen für ihn. Seit 5 Monaten den ersten in der Woche. Er hat mich gestern Abend am Telefon gefragt, was er mir mitbringen soll. „Wieder die Süßigkeiten vom letzten Mal?“ Oh, ääh, danke Ambr, nicht nötig. Du weißt doch: ich muss auf meine Linie achten… Die letzten Süßigkeiten hat unsere eifrige Putzfrau die Sesam-Karamell-Bällchen, die Ambr mir mitgebracht hatte, zu etwa 5/7 aufgefuttert. Rebakah ist echt emsig, vor allem wenn es darum geht, angebrochene Nahrungsmittel zu dezimieren. Jüngst hatte ich sogar den Eindruck, dass sie meine Zahnbürste benutzt und eine gestellte Haar-Falle scheint meinen Verdacht bestätigt zu haben. Seitdem schließe ich meine neue Zahnbürste weg, um nicht noch eine fiese Afte zu bekommen. Paranoia?? Ich hoffe nicht. Aber urteilt selbst. Ab nächster Woche wieder.

 

 Bis dahin nur das Beste

 Euer

 Sven bin-immer-noch-hier bin-aber-nicht-mehr-lange-hier Jon


 

Lahore Newsletter xi (zehn), August 30th

 Liebe treue Newsletter-Leser,

 ich freue mich, euch mitteilen zu können, dass ich mich nach gut einem Monat wieder in Deutschland eingelebt habe. Das hat etwa doppelt so lange gedauert wie das Einleben in Lahore. Ich bin am 25. Juli in Lahore losgeflogen und am 26. hier im schweinskalten Deutschland gelandet. Das war vielleicht ein Temperatursturz sage ich euch! Von satten 40 °C auf schlappe 15 °C in Deutschland. Natürlich hatte ich meine Jacke gut in meinem (aus mir bislang immernoch unerfindlichen Gründen nicht übergewichtigen) Koffer verstaut und es dauerte etwas, bis ich das Zähneklappern soweit unter Kontrolle hatte, dass ich mich wärmer anziehen konnte. Das Frieren hat mich sogar von den Symptomen meiner schicken possierlichen Durchfallerkrankung abgelenkt, die ich mir am letzten Donnerstag vor meiner Abreise noch eingefangen habe. Nach einer eingehenden Analyse teilte mir der Arzt in Deutschland mit, dass ich mir ein paar nette Einzeller in meinen Innereien mitgebracht habe. Hätte mich nicht weiter gestört, wenn die nicht alle paar Tage eine Party in meinem Enddarm gefeiert hätten und sich dann übergeben mussten… Die kleinen Viecher habe ich mir wahrscheinlich eingefangen, als ich mit Ambr mein letztes Treffen hatte.

 Nachdem ich meine Diplomarbeit schon am 19.7. per Mail nach D-Land geschickt hatte und ich danach nicht mehr allzu viel zu tun hatte habe ich mir am Donnerstag, also zwei Tage später, einen Tag frei genommen. Jawohl, einen ganzen Tag in der Woche! Ich kann mich allerdings immer noch nicht entscheiden, für welchen der zahlreichen Arbeits-Sonntage das der Ausgleich war. Jedenfalls habe ich mich an diesem Tag mit Ambr verabredet, um mit ihm ein paar der wichtigsten Sehenswürdigkeiten abzuhaken, die ich in fünfeinhalb Monaten noch nicht gesehen hatte. Wir trafen uns also um 9:00 Uhr an unserer gewohnten Stelle, dem Mc Donald’s am Fortress Stadium. Uiuiui. Ambr sah ganz schön müde aus. War wohl nicht so ganz seine Zeit, hat sich aber dafür nicht lumpen lassen. Außerdem hatte er wieder einen neuen Cousin im Schlepptau. Also der Cousin war nicht wirklich neu, nur kannte ich ihn noch nicht (glaube ich). Ich hatte mich schon innerlich mit einem Tag zu dritt abgefunden als der Cousin mit diesem unaussprechlichen (oder einfach nur unmerklichen??) Namen abdrehte und sich zu seiner Arbeit verabschiedete, natürlich nicht ohne uns einen schönen Tag und mir in einer langen Litanei viel Glück zu wünschen.

Ambr und ich bestiegen also alleine eine Rikscha (ok, wir mussten sie mit dem Fahrer teilen) und machten uns auf den Weg zu „Jehangir’s Tomb“. Tomb, das ist ein Grabmal eines bedeutenden Herrschers, von der Idee einer Pyramide oder einem Mausoleum etwas ähnlich. Als wir gegen 10:00 Uhr an der Kasse des am Stadtrand gelegenen Geländes ankamen war fast niemand außer uns und ein paar Wärtern unterwegs. Zudem war es noch nicht ganz so heiß, so dass wir unseren Aufenthalt voll und ganz genießen konnten. Beim Eintreten in den Innenhof des Mausoleumsgeländes fiel mir als erstes auf, dass der Garten ganz schön gut in Schuss war. Der Rasen war gemäht, oder vielmehr „gemöht“, denn zu unserer Linken war direkt mal eine heilige Kuh an einem Baum festgebunden und graste friedlich, während sie sich ihres Daseins erfreute. Da sie festgebunden war schließe ich daraus, dass sie nur halbheilig sein konnte, denn Heilige werden normalerweise nicht gefesselt.

Wir durchschritten also den Innenhof und kamen durch ein Tor in einen zweiten Innenhof, der noch eine ganze Ecke schöner anmutete. Wunderschöne alte und sehr hohe Palmen ragten dem Auge des Betrachters, also in dem Falle meinem, entgegen und zierten das Gelände des alten, vermutlich bereits vollständig verwesten Herrschers des Punjab. Das Gebäude, in dem die sterblichen Überreste, oder das was von den sterblichen Überresten übrig ist, aufbewahrt werden hat einen quadratischen Grundriss, an jeder der vier Ecken einen Turm und ist außerdem auf jedem 1.000 Rupies-Schein zu sehen. Vor dem Gebäude ist ein Springbrunnen aufgebaut, an dem Ambr und ich uns erst mal ausruhten und ein Bisschen geplaudert haben. Nach kurzer Zeit kam ein junger Mann mit einer schicken Fleischmütze auf dem Kopf vorbei und fragte, ob wir irgendwas bräuchten (also abgesehen von Drogen…), ob er uns irgendetwas erklären könne oder uns irgendetwas Gutes tun könnte. Antwort: Nö. Aber danke trotzdem.

Nach einer Weile sind wir dann in das Innere des Mausoleums eingetreten – natürlich nicht ohne uns vorher die Schuhe abzutreten und in eine sehr betretene Stimmung zu verfallen. Der Schuhwächter stellte sich dann auch gleich als Fremdenführer vor und erklärte uns fast jeden Stein, angefangen von dem Mosaik an der Türschwelle bis hin zum heiligen Schrein. Und als wir da so auf den heiligen Schrein glotzen und ich geduldig darauf warte, dass Ambr mir den Text des Schuhwächters/Fremdenführers/Tausendsassas ins gebrochene Englisch übersetzt tritt aus einer dunklen Ecke des Raumes der Mann mit der Fleischmütze hervor. Auch er schien ein hervorragender Fremdenführer zu sein, allerdings mit dem gravierenden Unterschied, dass er auch Englisch sprach. Und so kam es, dass der Schuh-Führer auf Ambr einredete während ich die Bekanntschaft von Amir machte. Amir ist ein freischaffender Maler in Lahore und war an jenem Morgen im kühlen Schrein um sich inspirieren zu lassen. Er ist ein sehr freundlicher und aufgeschlossener Mensch, den eine ganz bestimmte Aura umgibt. Ich habe mich eine Weile sehr angeregt mit ihm über den Schrein, die pakistanische Kultur im Allgemeinen und seine Arbeiten im Speziellen unterhalten. Am Ende gab er mir seine Karte und lud mich ein, ihn einmal anzurufen, wenn ich wieder in Lahore bin. Als wir am Nachmittag dann in einem besseren Viertel Lahores an einer Bildergalerie vorbeigingen bin ich sofort hinein und habe nach einem Bild des großen Meisters Amir gefragt. Als sie mir damit nicht dienen konnten habe ich sehr bestürzt geschaut und (hoffentlich) den Eindruck erweckt, dass eine gute Galerie mindestens einen „Amir“ haben sollte. Beim Verlassen des Ladens konnte ich mir ein breites Grinsen nicht verkneifen…

Nach dem Besuch in Jehangir’s jetzigem und vermutlich letzten Zuhause sind wir dann durch das Stadtviertel geschlendert und haben uns am ruhigen Morgen und den freundlichen Menschen erfreut. Wir kamen vorbei an Mais-Bazraren, Schrottplätzen, Kornlagern und etlichen dieser kleinen Garküchen, die es am Straßenrand gibt. Als wir dann das Flussufer erreicht hatten entschieden wir, mit einer Rikscha in die Stadt zu fahren und das Lahore Museum zu besuchen. Gesagt - getan. Das Lahore Museum ist ein schönes Museum für Hindu- und pakistanische Kultur, soweit es überhaupt eine pakistanische Kultur gibt. Aber der indische, buddhistische und hinduistische Einfluss wurde sehr schnell klar. Leider war das Museum nicht klimatisiert und es ging streng auf Mittag und die dazugehörigen Temperaturen zu, so dass wir den ersten Stromausfall dazu nutzten, das Museum wieder zu verlassen und uns auf den Anarkali-Bazar zu stürzen. Wie ich bereits in einem früheren Newsletter berichtete war Anarkali die Geliebte von einem der punjabi Herrscher, die, nachdem sie beim herauskommen aus dem Schlafzimmer des Sohnemanns erwischt wurde, bei lebendigem Leibe eingemauert wurde. Nach dem Tod des Vaters hat dann der Sohn, der unsterblich in Anarkali verliebt war, etliche Plätze und Gebäude nach seiner Liebe benannt.

 Als erste Aktion am Anarkali-Bazar kaufte ich einen schicken Cowboy-Hut für Ambr. Den hatte er sich schon lange gewünscht und heute hatten wir endlich das passende Stück gefunden. Wie ein echter pakistanischer Cowboy sah er damit aus und nahm sogleich die Gangart von John Wayne an. Ein Hingucker und Frauenfänger, sage ich euch…letzteres aber nur mit mäßigem Erfolg.

 Wir klapperten also noch das ein oder andere Sehenswerte in der Stadt ab, immer kutschiert von Rikschas, die uns bereitwillig durch die Straßen transportierten. Insgesamt sind wir an diesem Nachmittag mit etwa sechs Rikschas gefahren, von denen etwa fünf erstmal Gas nachtanken mussten. Kein Problem. Wir haben es ja nicht eilig. Nur das Sicherheitsbedürfnis lies sich bei mir leider nicht abstellen und als der vorletzte Rikschafahrer an einem Gas-Laden anhielt, neben dem mehrere fleißige Schweißer einen Metall-Aufbau für einen kleinen Lastwagen zusammenschweißten, als etwa zehn Meter weiter unsere Gasflasche aufgefüllt wurde, da wurde mir doch schon etwas mulmig und ich sah mir kurzerhand ganz interessiert die Schuhe im Schaufenster auf der gegenüberliegenden Straßenseite an.

 Abends waren wir dann bei Ambrs Familie in Lahore angekündigt. Gegen fünf Uhr Nachmittag sind wir dann mit einer weiteren Rikscha bis an die Bahngleise unter der Brücke, die ich in einem der ersten Newsletter beschrieben habe, herangefahren und das letzte Stück zu fuß gelaufen. Wir waren nun in einem der Slums in Lahore und ich fühlte mich eigentlich sehr wohl. Als wir an der Schneiderstube des Cousins angekommen sind wurden wir direkt sehr herzlich von allen männlichen Bewohnern des Hauses begrüßt. Die Frauen des Hauses schauten nur verschämt hinter den Vorhängen aus dem Fenster heraus. Ich lernte noch einige Freunde der Familie kennen, sah einem Angestellten von Ambr’s Cousin beim Nähen eines Hemdes zu (sehr flinke Finger der Kerl) und wurde am laufenden Band mit von Ambr georderten Pepsis versorgt. Schnell versammelten sich die Kinder der Nachbarschaft um die Tür herum, um die Weißnase (das bin ich) genauer unter die Lupe zu nehmen. Ich fühlte mich wie ein Ausstellungsstück im Lahore Museum, kam mir aber in meiner Rolle nicht unangenehm vor. Nach einer Zeit, als wir draußen vor der Tür saßen und so vor uns hinschwitzten, kam der Cousin von Ambr mit einem kühlen Glas Wasser an und ich konnte nicht widerstehen, einen kleinen Schluck (mehr aus Höflichkeit denn aus Durst) zu trinken. Das war das Verhängnis, was mir wahrscheinlich die eingangs beschriebenen Einzeller und damit einen äußerst unentspannten Heimflug beschert hat. (Den Tag Aufenthalt in Muscat, was im Sultanat Oman liegt, habe ich im Hotelzimmer in der Nähe der Toilette verbracht. Hätte mehr draus machen können…)

 Nach ein oder zwei Partien Snooker an einem für pakistanische und auch westliche Verhältnisse ganz passablen Tisch ging es dann ans Verabschieden. Ein paar letzte Fotos und eine letzte Erinnerung und dann gingen wir getrennter Wege.

 Nachdem ich Freitag dann wieder im Büro war und mich dort von allen lokalen Kollegen verabschiedet habe entschlossen Alexis und ich uns dazu, am Sonntag Morgen noch ein kleines Jagdanwesen eines längst verstorbenen pakistanischen Führers zu besuchen. Die Sehenswürdigkeit lag etwas außerhalb und so haben wir uns einen der Fahrer des Projektes geliehen, um die ca. 75 km in einer bequemen und klimatisierten Limousine zurück zu legen. Schien schon etwas dekadent, aber kein Rikschafahrer hätte je den Weg zu diesem Ort gefunden. Selbst unser pakistanischer Spürfuchs hatte seine Probleme und musste mehrmals nach dem Weg fragen. Endlich kamen wir mal aus Lahore raus und sind übers Land, die Peripherie von Lahore gefahren. Da es tags zuvor geregnet hatte waren überall noch kleinere Seen auf den Straßen und so mancher kleiner Maulesel kämpfte sich mit seinem schwer beladenen Karren durch diese Fluten. Allerdings war das Fortkommen wegen eben dieser Regenfälle etwas verlangsamt, denn es dauerte immer etwas länger, bis sich die pakistanische Straßenverkehrsteilnehmermenge um die Seen in der Straßenmitte herumgeschlängelt hatte. Auf dem Weg zu diesem besagten Jagdgrund hat Alexis, der ein wesentlich geschickteres Händchen in Sachen Bildermachen hat als ich, einige sehr schöne Aufnahmen gemacht, unter anderem ein Bild von ein paar kleinen Jungs, die zusammen mit zwei Wasserbüffeln in einem Kanal baden.

 Als wir dann am „Jagdschlösschen“ ankamen war meine Begeisterung eher bedeckt. In einem angelegten, quadratischen See stand ein Turm auf einer Betoninsel, auf die ein steinerner viaduktähnlicher Weg führte. In dem Turm gab es außer lärmenden Jugendlichen nichts zu sehen. Am anderen Ende des Viadukts steht ein großer Turm, vermutlich zur Lagerung von Jagdgut oder ähnlichem. Da es nicht viel zu sehen gab war auch mein Interesse, nachzulesen, was es mit dem Anwesen auf sich hat, sehr gezügelt und so sind wir nach etwa einer halben bis dreiviertel Stunde wieder zurück gefahren und haben lieber noch etwas von der Landschaft genossen. Dort, wo Bewässerungskanäle entlang verliefen, sah es fast so aus wie in Deutschland. Da wo keine Kanäle waren sah es so ähnlich aus wie in einem verwahrlosten deutschen Sandkasten. Alles in allem eine sehr vielfältige Landschaft.

 Zuhause angekommen habe ich dann erst einmal angefangen, meinen Koffer zu packen. Zwischendurch kam Mumtaz herein und sagte mir (mehrfach) wie schade er es findet, dass ich fahren würde. („Mr. Seven, when you go I got big big problem!“) Ich redete ihm gut zu und vermachte ihm meine analoge Kamera aus Deutschland, die ich ja dank meiner neuen Digicam jetzt nicht mehr brauche. Über den Fotorahmen, in den er das Foto von seiner Tochter und seiner Frau einkleben sollte, hat er sich aber wohl am meisten gefreut. Zum Dank ist Mumtaz sogar am nächsten Tag um vier Uhr morgens aufgestanden um mir den Koffer ins Auto zu tragen. Ich war gerührt – zumindest soweit es zu dieser Tageszeit in meinen Möglichkeiten stand. Imran hat mich dann zum Flughafen gefahren, wo ich ihm dann zum Abschied mein restliches Kleingeld übergeben habe (etwa ein Pfund Münzen). Glücklicher weise hatte ich mir noch ein Wenig Geld übrig behalten, denn beim Einchecken wollte der Kontrolleur eine Kopie meines Reisepasses mit Visum haben. Sowas habe ich natürlich immer bei mir, am besten sogar fertig gefaltet und parfümiert! Aber die Pakistani haben natürlich an alles gedacht und zu diesem Zweck eigens einen Copy-Shop am Flughafen eingerichtet, der auf das Kopieren von Pässen spezialisiert ist. Was für eine Abzocke!

 Als ich dann wenig später den Flieger bestieg war meine Wut aber schon wieder verklungen und ich konnte ganz entspannt einschlummern, um 2 Stunden später im Oman zu erwachen, wo ich besagten Aufenthalt in Reichweite meines geliebten Klos verbrachte.

 Was glaubt ihr, was das erste war, was ich dachte, als ich morgens um sechs in Frankfurt aus dem Flieger stieg? –„Was ist das scheiße kalt hier! Wo gibt’s die Tickets für den Rückflug?“ Es waren nur 15°C! Was erlaube?? Ich hatte nur ein dünnes Hemdchen an, denn ich erwartete einen zünftigen deutschen Sommer. Immerhin war es Ende Juli! Spätestens als ich meinen Koffer wieder in der Hand hielt und ihn zum Bahnsteig schleifen musste war mir dann urplötzlich auch gar nicht mehr so kalt. Die müssen mir am Zoll noch ein paar Backsteine in den Koffer gelegt haben…

 Meine Schwester, die ältere, holte mich am Bahnhof in Linz ab und empfing mich mit den warmen Worten: “Wie siehst Du denn aus??“ Hatte ich etwa vergessen, den Turban auszuziehen? Hing etwa das Nagelbrett, auf dem ich geschlafen hatte, noch an meinem Rücken? Es waren wohl eher meine verloren gegangenen sieben Kilo (wie sich später auf Brittas Personenwaage herausstellte). Sie hat mich aber dann doch mitgenommen und mir erstmal ein zünftiges Frühstück gemacht und ihre neue Wohnung gezeigt. Anschließend hat sie mich in mein Interims-Zuhause in der Wohnung meines Vaters gebracht, wo ich die folgenden drei Wochen lebte. Um es mir etwas wohnlicher zu machen und um der anstehenden Langeweile vorzubeugen habe ich dann am nächsten Tag erstmal begonnen, die Tapeten im Wohnzimmer abzureißen und den Untergrund für die neuen Tapeten vorzubereiten. Tapetenwechsel im wörtlichen Sinn. Da ich mich natürlich auch bei den meisten meiner Freunde und Verwandten wieder anmelden musste hat sich die Renovieraktion allerdings über einige Wochen (drei in etwa) hingezogen. Da Paps aber eh noch bis nächste Woche in Kur ist, war das nicht weiter schlimm. Fast, jedenfalls. Denn als er am Samstag nach meiner Rückkehr zu seinem fünftägigen Urlaub zuhause ankam wollte er, soweit ich mich erinnere, die Polizei oder die Feuerwehr oder gar beide anrufen, weil er an einen Einbruch oder an einen Bombeneinschlag glaubte. Leider war ich selbst zum Zeitpunkt seines Eintreffens im Baumarkt und hatte ihn auch am Telefon nicht auf die geringfügigen Veränderungen in seinem trauten Heim hingewiesen. Zum Glück war er gerade frisch erholt, sonst hätte ihn wahrscheinlich ein schneller Tod durch Herzinfarkt ereilt… In den folgenden vier Tagen haben wir dann aber immerhin gemeinsam angepackt und bis zu seiner Abfahrt zumindest die Decke tapeziert. Das hat ihn dann schon wieder etwas beruhigt.

 In den nächsten Wochen wurde meine Renoviertätigkeit erheblich durch meine Zukunftsplanung beschnitten. Am 8.8. hatte ich ein „unverbindliches Gespräch“ bei Lahmeyer International in Bad Vilbel bei Frankfurt, zu dem ich allerdings meine Unterlagen (Zeugnisse und Co.) mitbringen sollte. Dieses Gespräch war von einem Lahmeyer Kollegen arrangiert und so konnte ich natürlich nicht ausschlagen. Das unverbindliche Gespräch endete damit, dass ich bis zum nächsten Tag in Bad Vilbel blieb, denn dann wurde ein neues Projekt vorgestellt, in dem ich einen Platz bekommen sollte. So machte ich mir also einen schönen Abend in einer Pension in Bad Vilbel – natürlich auf Kosten des Hauses. Am darauf folgenden Montag, dem 15.8. fand mein Kolloquium zur Diplomarbeit in Kassel statt. Leider konnte keiner meiner Leute an diesem Vortrag teilnehmen, da er nachmittags stattfand und so blieben wir in kleiner Runde. Scheinbar ist meine Arbeit gut angekommen, denn sie hat (vorbehaltlich der Bewertung des Zweitprüfers, die bis heute noch aussteht) eine sehr gute Bewertung bekommen.

 Am 20.8. bin ich in eine kleine Dreier-WG in Frankfurt Gallusviertel eingezogen. Meine Mitbewohner heißen Mario (28) und Maren (25) und sind sehr nett, umgänglich, gesellig, aufgeschlossen, kulturell und politisch interessiert und können morgens lange ausschlafen. Nur ich musste mich nach unseren Sit-Ins, die oft bis weit nach Mitternacht dauerten, am nächsten Morgen wieder früh aus dem Bett schälen. Den Schlafmangel habe ich aber dann in der folgenden Woche rasch ausgleichen können, da Maren jetzt für sechs Wochen ein Praktikum in Prag macht.

 Am 22.8. habe ich meine neue Stelle als Trainee-Engineer bei Lahmeyer angetreten und arbeite nun für ein großes Wasserkraft-Projekt in Nigeria, allerdings zunächst von Bad Vilbel aus. Das jetzige Projekt ist etwa dreimal so groß wie das Munda Projekt in Pakistan und wird vom Staat Nigeria finanziert. Am kommenden Samstag werde ich noch ein paar meiner Möbel nach Frankfurt holen und dann hoffe ich, dass es in den nächsten Wochen wieder so ruhig wird, dass ich euch die Passagen zwischen den Daten auch noch erzählen kann, dann aber persönlich und zusammen mit weiteren Eindrücken aus dem sonnigen Pakistan.

 

Ich hoffe, dass ich euch mit den Newslettern aus Pakistan eine kleine Freude machen, zu eurer Unterhaltung beitragen konnte und vielleicht den ein oder anderen mit mir auf eine Reise in eine fremde Welt mitzunehmen vermochte.

 

Bis die Tage

Euer

Jon